Boy 7
aufgenommen worden sein. Zum zigsten Mal starrte ich angestrengt auf das zerknitterte Foto. Um das Gebäude verlief ein Zaun mit Stacheldraht. Sie mochten also keine Eindringlinge. Oder keine Ausbrecher. Der Zaun war ziemlich lang, er reichte bis ganz hinter den Turm. Eine sonstige Bebauung war nicht auszumachen. Ich sah nur Gras, einen Weg und verschiedene Gruppen baumartiger Pflanzen mit schwertförmigen Blättern. Auf einem Luftbild musste es zu erkennen sein!
Ich ging zu Google Earth und zoomte Flatstaff heran. Das Zentrum, die Außenviertel und dann das Gebiet darum. Erst in westlicher Richtung, dann in östlicher Richtung und ... Dieser graue Punkt! Ich zoomte näher heran, das Bild wurde unschärfer, aber das eine Ding dahinten war ganz unmissverständlich ein Turm, ich sah sogar den Zaun und ... die Bäume stimmten auch!
Ich stieß einen Freudenschrei aus. Das musste das Gebäude vom Foto sein!
Auf der Landkarte suchte ich die genaue Lage und zeichnete ein Quadrat ein. Morgen würde ich nachschauen. Es gab bloß ein Problem: Wie kam ich dorthin?
Ich studierte die Busstrecken und Abfahrtszeiten im Laptop. Während der Ferien fuhr nur einmal pro Woche ein Bus von Branding nach Flatstaff. Heute also. Ich hatte wenig Lust, eine ganze Woche zu warten. Außerdem war es viel zu weit, um von Flatstaff zu dem Gebäude zu laufen. Zu einer so abgelegenen Stelle fuhren bestimmt auch keine Busse. Ein Taxi war zu teuer. Wer weiß, wie lange ich noch mit meinem Geld auskommen musste. Bobbies Auto leihen? Aber ich wusste noch nicht einmal, ob ich fahren konnte, und wenn ich ohne Führerschein fuhr, war bestimmt gleich die Polizei hinter mir her.
Nein, die einzige Möglichkeit war Lara. Ich war immer noch nicht sicher, ob ich ihr vertrauen konnte, aber ich wusste, dass ich sie brauchte. Sie konnte mich an diesen Ort bringen.
Ich musste mir nur noch eine gute Geschichte ausdenken, um sie zu überzeugen.
8
Ich brachte das Telefonbuch in die Diele zurück. Die Tür zur immer ordentlich aufgeräumten Küche stand offen. Lara saß am Tisch und schälte Kartoffeln über einer flach ausgebreiteten Papiertüte.
»Hat’s geklappt?«, fragte sie, als sie mich sah.
Ich nickte, erst in ihre Richtung, dann zu den Kartoffeln. »Mich brauchst du heute Abend nicht einzurechnen.«
Ihre Hand mit dem Messer blieb einen Augenblick in der Luft hängen. »Wieso nicht? Du musst doch was essen?«
»Ich hole mir etwas bei McDonald’s.«
»Schon wieder Fastfood«, sagte sie missbilligend. »Das ist total ungesund.«
»Ich ... äh ... muss ein bisschen sparen.«
»Wenn das alles ist.« Sie schälte eifrig weiter. »Du isst einfach mit, okay? Gratis und umsonst.«
»Aber ...«
»Du hast mir heute Morgen doch auch geholfen?« Sie ließ eine Kartoffel in den Topf plumpsen. »Bei den Obstkuchen.«
Wenn man das Helfen nennen konnte. Ich hatte sie angeschrien und sie grob angefasst. Und immer noch blieb sie lächerlich freundlich. Ich schämte mich zu Tode.
»Oh, na ja, dann gern«, murmelte ich. »Und dein Laptop?«
»Gibst du mir nachher wieder.«
»Okay.« Unschlüssig drehte ich meinen Fuß auf dem Absatz. »Isst Jones auch wieder mit?«
»Nein, wieso?«
»Nur so.« Beim Essen würde ich sie fragen, ob sie mich zu dem grauen Gebäude bringen würde. Ich hatte noch eine gute Stunde, um mir eine schlüssige Geschichte auszudenken.
Wir aßen wieder im Garten. Bobbie und Lara plauderten über ein Rezept für Waldbeerkuchen. Ich wartete auf eine Gelegenheit, das Gespräch in die richtige Richtung zu lenken. Die ergab sich endlich nach der Hälfte des Hauptgerichts.
»Gefällt es dir hier ein bisschen?«, fragte Bobbie. »In Branding ist nicht gerade viel los für jemanden deines Alters.«
»Ja, doch.« Ich pikste in meinen Kartoffelsalat. »Vielleicht bleibe ich noch eine Weile.«
»Und was ist mit deinen Eltern?« Lara wedelte mit ihrer Gabel. »Zu denen wolltest du doch?«
»Sobald ich sie gefunden habe, ja.« Ich hatte meinen Text vor dem Spiegel geübt, so lange, bis ich nirgends mehr stockte und es überzeugend klang. »Vor einiger Zeit kam ich dahinter, dass ich adoptiert wurde. Ich will wissen, wo ich herkomme, du weißt schon, warum ich so bin, wie ich bin, und so. Also beschloss ich, in diesen Ferien meine echten Eltern ausfindig zu machen.«
Es wurde still. Ich versuchte, ihre Reaktionen einzuschätzen.
»Ach herrje«, sagte Lara dann.
Bobbie schüttelte den Kopf. »Helfen dir deine Adoptiveltern denn nicht?«
Einen
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