Boy 7
war, als würde das Gebäude mich hypnotisieren, ich musste und würde dorthin gehen.
Die Straße machte eine Biegung und verschwand hinter einer Reihe Yuccas und stacheligem Gebüsch. Ich lief am Wegesrand weiter und duckte mich. Ja, dort war der Eingang. Ein Schlagbaum mit einem Häuschen daneben. Ich kauerte hinter dem Gebüsch. Hätte ich bloß ein Fernglas gehabt, ich konnte nicht sehen, ob jemand hinter der spiegelnden Scheibe saß. Sollte ich es wagen? Aber was um Himmels willen sollte ich dem eventuellen Pförtner sagen? »Können Sie mir sagen, was das für ein Gebäude ist?« Er würde mich davonjagen. Oder noch schlimmer: mich verhaften lassen, weil ich mich auf verbotenem Terrain befand.
Nein, ich musste ungesehen zum Gebäude gelangen. Von der Seite, das war meine einzige Chance. Ich sah zu der massiven grauen Mauer hinüber. Davor lag ein Stückchen Niemandsland und dann kam der meterhohe Zaun mit dem Stacheldraht. Ich hätte mich treten können – warum hatte ich bloß kein Werkzeug mitgenommen? Vermutlich würde es noch gelingen, am Zaun hochzuklettern, aber dieser gemeine Stacheldraht ... er würde Kleidung und Haut in Fetzen reißen. Meine einzige Hoffnung war, dass sich irgendwo im Zaun ein Loch befände. Ich hielt diese Möglichkeit für nicht sehr wahrscheinlich, aber mir fiel nichts Besseres ein und eine Verzweiflungstat schien mir noch immer besser, als einfach so aufzugeben.
Das erste Stück war vermutlich am schwierigsten, da war ich voll im Blickfeld eines möglichen Pförtners. Ich konnte nur vorbeirobben, dann würden mir die Bäume und Büsche bestimmt genügend Deckung geben. Etwa fünfzig Meter, danach wäre ich vom Eingang aus nicht mehr zu sehen, es sei denn, das Gebäude war kamerabewacht, aber Kameras konnte ich nicht auf Anhieb entdecken. Ich schnallte meinen Rucksack enger, damit er nicht verrutschen konnte. Dann ließ ich mich auf den Bauch nieder und winkelte die Ellbogen an. Vermutlich hatte ich das schon öfter gemacht, denn in kürzester Zeit hatte ich eine ansehnliche Strecke zurückgelegt und ... ich tauchte tiefer. Um die Ecke des Gebäudes kam ein Wächter, Typ Arnold Schwarzenegger! Er bewegte sich dicht am Zaun entlang, neben sich einen schwarzen Hund an der Leine. Über seiner breiten Schulter baumelte ein Gewehr.
Hatte er mich gesehen?
Ich machte mich so flach wie möglich und wartete, was geschehen würde.
Pfff – nichts passierte! Ich spähte durch die hohen Grashalme. Der Wächter blieb kurz stehen, drückte seine Sonnenbrille fester auf die Nase, sagte etwas zu seinem Hund und ging weiter. Erst als er um die Ecke zum Eingang verschwand, wagte ich es, wieder Atem zu holen.
Was jetzt? Darauf setzen, dass er nicht mehr zurückkommen würde? Aber vielleicht ging er immer dieselbe Strecke? Wie lange würde es dauern, bevor er das Gebäude einmal umrundet hatte? Ich fischte mein Handy aus der Seitentasche meiner neuen Hose und starrte auf die Uhr am Display. Eine Minute, zwei Minuten.
Eine Heuschrecke ließ sich auf meinem Arm nieder. Ich studierte ihre wächsernen Beinchen, bis sie zu sehr zu kitzeln begann und ich sie wegblies.
Die Zeit schlich. Vier Minuten.
Ich sah zum Turm hinüber, auf dem ein riesiger Sendemast thronte. Ob der für diese gefährliche Strahlung verantwortlich war? So gefährlich konnte sie aber nicht sein, denn der Wächter trug keinen Schutzanzug, sondern ein militärisches Outfit. Ich wartete und wartete. Sieben Minuten.
War das Gebäude vielleicht ein geheimer Militärposten, der den Mast nutzte, um feindliche Berichte abzufangen?
Zehn Minuten ...
Gerade als ich dachte, der Wächter und sein Hund würden nicht zurückkommen – Kaffeepause? –, bogen sie wieder um die Ecke.
Mir blieben also zehn Minuten: zum Zaun rennen, nachsehen, ob es irgendwo ein Loch gab, und wieder zurückrennen. Ob das reichte? Wenn der Wächter mich erwischte, konnte er scharf schießen. Ich traute mich nicht, dieses Risiko einzugehen. In diesem Land durfte man Privateigentum zur Not mit Gewalt vor Eindringlingen schützen und die Schilder waren überdeutlich gewesen. Ich bettete meinen pochenden Schädel auf meine Arme und zermarterte mir das Hirn. Es half nichts, ich musste noch einmal wiederkommen. Mit einem Feldstecher, einer Zange für den Maschendraht und einem Plan, wie ich den Hund und den Wächter ablenken konnte. Ich versuchte, nicht daran zu denken, wie unmöglich das klang.
9
Sobald der Wächter verschwunden war, robbte ich zurück und
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