Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)
sein.
Zweites Album, drittes Foto. Darauf ist immer das Zielobjekt abgebildet.
Das könnte ein Onkel oder eine Tante sein. Sogar ein Kindermädchen. Jemand, der der Familie nahesteht.
Ich klicke Foto Nummer drei an.
Es zeigt Bürgermeister Goldberg. Allein.
Er ist das Zielobjekt.
Sam ist meine Kontaktperson, der Bürgermeister ist das Zielobjekt und fünf Tage sind mein Zeitfenster.
Das ist mein neuer Auftrag.
Ich werfe der Bedienung einen Blick zu. Er ist hinter der Theke beschäftigt, sein Gesicht ist hinter Dampfschwaden verborgen.
Zeit zu gehen.
Ich nehme das Handy und knalle es mit der linken Ecke auf den Tisch. Ein fester, präziser Schlag.
Die beiden Mädchen blicken in meine Richtung und runzeln die Stirn. Ich wirke bestimmt wie ein verwöhnter Teenager, der aus lauter Blödsinn sein Handy zertrümmert. Aber der Schein trügt.
Wenn ich das Handy aufschlage, misst ein Sensor den genauen Winkel und die Wucht des Aufpralls. Dann sendet er ein Signal an den Akku, das bewirkt, dass dieser zu heiß wird und das Gerät sich selbst zerstört.
Ich verlasse den Coffeeshop und werfe einen Block weiter das kaputte Handy in einen Abfalleimer. Dann nehme ich den Zug nach New York.
Während die Räder unter mir klackern, denke ich an den schwierigen Auftrag, der vor mir liegt. Ich frage mich, wie ich das in fünf Tagen schaffen soll.
Zweifellos eine Herausforderung.
Aber Herausforderungen liegen mir.
Mittwoch. Erster Tag.
Es beginnt.
Ich treffe in einer berühmten Privatschule an der Upper West Side ein.
Sams Schule.
Das Programm hat mich über Nacht ins System der Schule eingeschleust. Ich bin im zentralen Computer registriert – mein Name und eine fiktive Schullaufbahn, zusammen mit einer Aufnahmebestätigung und einem Versetzungsschreiben. Seit heute Morgen bin ich offiziell Schüler dieser Schule und stehe auf den Namenslisten der Lehrer.
Der Rest ist mein Problem.
Jetzt sitze ich mit anderen Schülern der Stufen neun bis zwölf zusammen in einem Raum. Anders als an staatlichen Schulen treffen sich hier Schüler aller Altersgruppen vor Unterrichtsbeginn, um sich auszutauschen und die restlichen Hausaufgaben zu erledigen.
Sam hält sich in einem anderen Raum auf. Das ist kein Zufall.
Der erste Eindruck ist in der Highschool entscheidend, aber da ich Sam noch nicht kenne, weiß ich nicht, welches Image ich mir zulegen soll. Wenn ich mich zu früh festlege, wäre das riskant. Zuerst muss ich herausfinden, welchen Rang Sam in der Hackordnung der Schule einnimmt. Aber um das einschätzenzu können, muss ich sie in Aktion erleben. Ich muss wissen, wo genau sie sich in der sozialen Hierarchie befindet und, was genauso wichtig ist, wie sie sich selbst einschätzt.
Vater und ich haben per E-Mail darüber diskutiert. Er fand auch, dass es besser wäre, wenn ich zunächst im Hintergrund bleibe und Informationen sammle, bevor ich aktiv werde. Und so haben wir entschieden, dass ich in eine andere Gruppe gehe, um mich erst mal zu orientieren.
»Bist du neu hier?«, fragt mich meine Nachbarin. Unter langen Ponyfransen sehen mich zwei stark geschminkte Augen fragend an.
»Nicht ganz«, antworte ich.
»Warum hab ich dich dann noch nie hier gesehen?«
Ich werfe einen Blick über ihre Schulter. Der Junge hinter ihr sieht aus wie ein Sportler, ist kräftig gebaut und muskulös. Seit zehn Minuten wirft sie ihm verstohlene Blicke zu.
»Weil du nur Augen für ihn hast.« Ich deute auf den Typen hinter ihr.
Sie wird knallrot.
»Das geht dich gar nichts an«, sagt sie.
Ich zucke die Achseln.
Gespräch beendet.
Zwei Reihen hinter mir gluckst jemand.
Es ist ein etwa vierzehnjähriger Junge, blass, ungekämmte Haare, ein typischer Loser. Einer, der alles genau beobachtet.
»Das war gut«, sagt er.
»Danke.«
»Du hast mitten im Schuljahr die Schule gewechselt. Wem hast du denn ans Bein gepinkelt?«
»Ich bin von der Choate geflogen.«
»Da musst du ja richtig Scheiße gebaut haben.«
Ich zucke mit den Schultern und vertiefe mich wieder in mein Buch.
Soll die Gerüchteküche nur brodeln. Der geheimnisvolle Unbekannte – ein guter Anfang. Später kann ich mir immer noch eine andere Rolle zulegen, den Einzelgänger spielen, das Opfer, den Rebellen, was immer die Situation erfordert.
Jetzt warte ich erst mal ab. Ich bin sicher, dass der blasse Junge seinen Mund nicht halten kann. Ich nehme mir vor, ein Auge auf ihn zu haben. Mit Außenseitertypen muss man vorsichtig sein. Sie sperren Augen und Ohren auf,
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