Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)
Wissenschaftler.
Vielleicht war er kein guter Mensch.
Aber was war er dann?
Ich gehe die Szene im Geiste immer wieder durch, aber ich kann nichts Verdächtiges entdecken.
Ich sehe nur meinen Vater, der die Wahrheit sagt. Einen Monat, bevor er starb.
Es vergehen drei Tage.
Drei lange Tage in Providence. Ich schlafe, trainiere, gehe allein ins Kino.
Aber die meiste Zeit warte ich nur.
Ich verhalte mich unauffällig. Ich halte mich von Menschen fern.
Es ist Dienstagmorgen, als mein Handy klingelt und mich aus einem unruhigen Schlaf reißt.
Ich greife nach dem iPhone und sehe aufs Display.
Eine E-Mail von Vater:
Sieh dir mal das Video an. Witzig!!!
Dad
Witzig. Und drei Ausrufezeichen.
Das ist der Code für die höchste Dringlichkeitsstufe. Es ist das erste Mal, dass er ihn benutzt.
Eine brisante Sache. Ein neuer Auftrag.
Es geht wieder los.
Endlich.
Ich bestelle mir bei Starbucks einen großen Kaffee.
»Mit Schuss?«, fragt mich die Bedienung.
»Warum fragst du?«
»Du siehst aus, als könntest du einen gebrauchen.«
Ich schaue mir den Typen hinter dem Tresen genau an. Kann es sein, dass er mich kennt? Zur Not könnte ich einen Satz über die Theke machen und ihm an die Gurgel gehen.
»Es ist doch nur ein Schuss«, sagt er. »Was dich nicht umbringt, macht dich nur stärker.« Er lächelt. Ich lächle zurück.
Ich sehe jetzt, dass er harmlos ist. Ich habe die Situation falsch eingeschätzt. Vielleicht haben mich die chinesischen Agenten verunsichert. Vielleicht liegt’s auch an der Warterei. Egal. Ich habe einen Job zu erledigen.
»Also gut, zwei Schuss«, sage ich.
»Ein Mann nach meinem Geschmack«, sagt er.
Ich suche mir einen Platz in der hintersten Ecke des Coffeeshops und logge mich über WLAN ins Internet ein.
Zwar ist mein iPhone relativ abhörsicher, aber wenn es um die Instruktionen für einen Auftrag geht, will ich kein Risiko eingehen und suche mir lieber eine anonyme Umgebung. Und nichts ist anonymer als ein Starbucks.
Ich habe ein paar simple Tricks gelernt, die im Grunde alle auf dasselbe hinauslaufen:
Tauche in der Menge unter.
Das ist die beste Möglichkeit, unsichtbar zu sein.
Mein iPhone loggt sich mit einer falschen Mac-Adresse ein, einer Art Sozialversicherungsnummer für Handys. Dann öffne ich erneut Vaters E-Mail .
Sieh dir mal das Video an. Witzig!!!
Dad
Dann folgt ein Link auf You Tube. Es gibt auch ein Foto zum Herunterladen. Es ist winzig. Nicht mal 5 KB. Das Foto ist nichts Besonderes – eine Aufnahme von einem Bergsee. Als wäre mein Vater im Urlaub gewesen und hätte mir einen Schnappschuss von besonders schlechter Qualität geschickt.
Das Foto selbst hat keine Bedeutung, aber seine Größe sagt alles.
5 KB. Fünf Tage.
Das ist das Zeitfenster für meinen nächsten Auftrag.
Da kann was nicht stimmen.
Ich checke noch mal das Foto.
5 KB. Kein Irrtum.
Mein Job läuft eigentlich immer gleich ab: Ich tauche an meinem Einsatzort auf, baue Vertrauen zu meiner Kontaktperson auf, integriere mich in ihr Umfeld und erledige den Auftrag. Und das Ganze, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.
So was dauert normalerweise ein bis drei Monate, je nachdem, wie schwierig die Kontaktaufnahme ist.
Fünf Tage. Was hat das zu bedeuten?
Ich sehe mich im Starbucks um. Jede Menge Leute mit Laptops. Ein älteres Paar, das sich angeregt unterhält. Zwei Mädels in Joggingklamotten, die über irgendwas lachen.
Niemand beachtet mich. Ich klicke auf den You Tube-Link. Das Video ist nichtssagend. Eine berühmte Band, deren Leadsänger mitten im Song von der Bühne fällt. Vielleicht ist das ja witzig, aber darum geht es nicht. Ich scrolle runter bis zum 16. Beitrag.
Erstes Wort: S cheißvideo
Letztes Wort: G ehen
S.G. Die Initialen des Facebook-Profils, das für mich wichtig ist.
Als ich mich in Facebook einlogge, sind da über zehn neue Freundschaftsanfragen, aber nur eine von einem Typen namens EsGe aus New York City.
S.G. Das ist er.
Natürlich ist das kein echtes Profil. EsGe hat es auch nicht ins Netz gestellt. Und wenn es später wieder entfernt wird, dann nicht von ihm.
Eigentlich ist es überhaupt kein Profil, sondern eher ein Dossier.
Ich akzeptiere die Freundschaftsanfrage und klicke den Link zu seinem Profil an.
Der richtige Name der Person ist Sam Goldberg.
Erste Überraschung: Sam ist ein Mädchen.
Ich habe nicht gern mit Mädchen zu tun. Sie sind mir zu kompliziert.
Zwar bin ich bei Jungen und Mädchen gleichermaßen erfolgreich, aber
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