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Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)

Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)

Titel: Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allen Zadoff
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weil ihr eigenes Leben so langweilig ist.
    Zehn Minuten verstreichen. Ich studiere die Gruppe, ihr Verhalten, ihre Kleidung, ihren Umgangston. Ich mache mich mit den Abläufen vertraut. Wie ein Schwamm sauge ich alles in mich auf.
    Fünf nach acht ertönt ein Gong, dreimal, jeweils mit ein paar Sekunden Abstand. Wir stehen auf.
    Zeit, Sam kennenzulernen.

Für meine Mitschüler ist es ein ganz normaler Schultag.
    Deshalb ist es sinnvoll, mitten in der Woche in einer neuen Schule aufzutauchen. Keine Aufregung, keine großen Erwartungen.
    Heute ist Mittwoch. Es ist der Tag, den ich auch gewählt hätte, wenn ich mehr Zeit hätte.
    Ich beobachte meine Mitschüler, die mir auf dem Gang entgegenkommen. Sie gähnen, reiben sich die Augen, sind noch verschlafen.
    Kriegen nicht viel mit.
    In einer großen öffentlichen Schule könnte ich erst mal in der Menge untertauchen und mich nach und nach mit meinem neuen Umfeld vertraut machen. Hier ist das unmöglich. Die Klassen sind zu klein. Außerdem lässt mir mein Auftrag keine Zeit für taktische Manöver.
    Also betrete ich an einem Mittwochmorgen zur ersten Stunde Sams Unterrichtsraum, wo der Leistungskurs Europäische Geschichte stattfindet. Ich erscheine zwei Minuten vor dem Gong. Nicht zu spät und nicht zu früh.
    Bei meinem Eintreten richten sich einige Augenpaare auf mich. Ich werde zur Kenntnis genommen und abgehakt.
    Genau, wie ich es will.
    Ich setze mich in die letzte Reihe und warte ab.
    Sam kommt herein.
    Sie ist groß und schlank, ihre sportliche Figur bildet einen reizvollen Gegensatz zu ihrem sanft gewellten, schulterlangen Haar.
    Die Fotos wurden ihr nicht gerecht. Sie sieht absolut umwerfend aus.
    Selbstbewusst betritt sie die Klasse und setzt sich in eine der vorderen Reihen. Sie ist umgeben von Freunden, rechts ein hübsches Mädchen mit schwarzem Haar, links ein bulliger Typ mit struppiger Mähne. Der Zottelbär gibt sich große Mühe, cool zu wirken.
    Die Tür geht auf und der Lehrer kommt herein, ein dünner Mann mit Bart und tiefen Falten. Sein Gesicht verrät sein Alter, aber seine Energie lässt ihn viel jünger wirken. In den meisten staatlichen Schulen sind die Lehrer lustlos, hier dagegen sprühen sie vor Enthusiasmus.
    Dieser Lehrer kommt in die Klasse gestürmt, als könne er es kaum erwarten, mit dem Unterricht zu beginnen. Man könnte meinen, er hätte schon auf dem Gang mit der Stunde angefangen. Vielleicht sogar schon auf dem Parkplatz.
    »Roosevelt und das amerikanische Leih- und Pachtgesetz«, verkündet er.
    In der Klasse wird es still. Er streift mich mit einem Blick. Sein Gehirn hat einen Fremdkörper registriert. Ich kann es an seinem Gesicht ablesen.
    Er schaut auf seine Liste und entdeckt meinen Namen.
    »Sie sind neu«, stellt er fest.
    »Ja, ich bin ein Glückspilz«, sage ich.
    Ein paar Schüler kichern.
    »Herzlich willkommen. Wir werden Sie schnell auf den neuesten Stand bringen«, sagt er und stürzt sich sofort wieder in seinenVortrag. »Im Zweiten Weltkrieg stellt Amerika Großbritannien Waffen zur Verfügung. Damit hat Amerika seine Neutralität aufgegeben, ohne offiziell in den Krieg eingetreten zu sein. Was meinen Sie, war das Feigheit oder diplomatisches Geschick?«
    Ich kenne diese Frage. Sie steht im letzten Kapitel unseres Lehrbuchs: Der Aufstieg totalitärer Regime und der Zweite Weltkrieg.
    Ich kenne den ganzen Highschool-Lehrplan. Ich habe den gesamten Stoff durchgeackert. Ich könnte die heutige Lektion rauf und runter beten.
    Wenn ich wollte, könnte ich sofort in die Diskussion einsteigen und mich mit schlauen Argumenten profilieren. Aber das wäre keine gute Idee. Heute werde ich mich zurückhalten und zuhören.
    Und beobachten.
    Es scheint, als wäre ich nicht der Einzige.
    Sam verfolgt gespannt die Diskussion oder vielmehr das, was hier als Diskussion gilt. Im Grunde geht es nur darum, die diplomatischen Initiativen der U S-Regierung zu rechtfertigen. Zumindest, bis Sam das Wort ergreift.
    »Wir hätten schon Jahre vorher in den Krieg eintreten sollen«, sagt sie. »Das Leih- und Pachtgesetz wurde mit nur einer Stimme Mehrheit im Kongress verabschiedet. Keiner wollte Verantwortung übernehmen. Wir haben uns geweigert, Partei zu ergreifen.«
    »Moment mal«, sagt ein Typ, der wie ein Fußballer aussieht. »Es war ja auch nicht unser Krieg. Hitler ist schließlich in Polen einmarschiert, nicht in Pittsburgh.«
    »Heißt das, es geht uns nichts an, weil es nicht bei uns passiert ist, Justin? Aus den Augen, aus dem

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