Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)
warmes, ungezwungenes Lachen.
»Tatsächlich? Bei ihrer Mutter musste ich auch ziemlich hartnäckig sein.«
»Hallo, ich bin auch noch da«, meldet Sam sich zu Wort.
Mein Blick fällt auf das Foto auf dem Schreibtisch: Sam und ihre Eltern vor irgendeiner Sehenswürdigkeit im Nahen Osten. Ihre Mutter kenne ich aus Sams Facebook-Profil.
»Ich glaub, wir lassen dich jetzt besser in Ruhe, Dad. Du hast bestimmt noch zu arbeiten.«
Sie nimmt mich am Arm und lotst mich in Richtung Tür.
»Moment noch«, sagt der Bürgermeister.
Er geht auf mich zu und streckt die Hand aus.
»Geben Sie mir Ihren Kugelschreiber.«
Ich nehme ihn aus meiner Tasche und drücke auf die Kappe, damit die Mine herausspringt.
Dann lege ich den Kugelschreiber in seine ausgestreckte Hand.
Sehr behutsam.
»Ich heiße übrigens Benjamin.«
Er beugt sich über den Schreibtisch und nimmt eine Karte mit dem Logo des Bürgermeisters aus einer Schachtel. Er schüttelt den Kuli. Dann schreibt er etwas auf die Karte, klappt sie zu und reicht sie mir.
»War nett, Sie kennenzulernen, Benjamin.«
»Ganz meinerseits, Sir.«
Ich ergreife seine ausgestreckte Hand. Sie fühlt sich warm und trocken an.
»Ich hoffe, wir sehen uns bald mal wieder«, sagt er.
»Das wäre schön.«
Kurz vor der Tür bleibe ich stehen.
»Entschuldigen Sie, Sir, aber mein Kugelschreiber … «
Er dreht sich zum Schreibtisch um. Dort liegt mein Kuli.
»Ach, natürlich«, sagt er und gibt ihn mir.
Der Profi steht vor dem Arbeitszimmer.
Und wartet.
Wie lange er wohl schon hier ist?
Was wäre gewesen, wenn ich meinen Auftrag ausgeführt hätte?
Aber das spielt jetzt keine Rolle.
Der Profi sieht Sam an, dann mich.
»Du hast in diesem Teil der Wohnung nichts verloren«, sagt er zu mir.
»Das ist mein Freund Benjamin«, verteidigt Sam mich.
Ohne den Blick von mir abzuwenden, fragt er sie: »Was hat er im Arbeitszimmer des Bürgermeisters gemacht?«
»Wir haben uns mit meinem Vater unterhalten. Privat.« Sie betont das letzte Wort.
Er sieht Sam an, nickt, öffnet dann die Tür einen Spalt, späht hinein, um sicherzugehen, dass der Bürgermeister tatsächlich in seinem Arbeitszimmer ist.
»Zufrieden?«, fragt Sam.
»Ich mache nur meinen Job, Ma’am.«
Er zieht die Tür zu und setzt wieder eine eisige Miene auf.
Sam nimmt meinen Arm und zieht mich von der Tür weg.
»So ein Arschloch«, sagt sie. »Tut mir leid.«
»Ich glaube, er mag mich nicht.«
»Er mag überhaupt niemanden, aber dich hat er offenbar gefressen.«
»Komisch, ich hab immer gedacht, ich wär eigentlich ganz liebenswert.«
»Das findet mein Vater offenbar auch.«
»Und du?«
»Ich hab mich noch nicht entschieden.«
»Kein Problem. Ich hab Zeit«, sage ich.
Was natürlich nicht stimmt, denn ich habe meine erste Chance vertan und muss mir dringend überlegen, wie ich es anstelle, um eine zweite zu bekommen. Ich habe Vater erzählt, dass er sich keine Sorgen zu machen bräuchte, dass ich meine Aufgabe im Nu erledigt hätte. Stattdessen habe ich Mist gebaut und stehe vor einem ernsthaften Problem.
Gedanken stürmen auf mich ein, die mir überhaupt nicht weiterhelfen. Bedauern. Selbstvorwürfe. Ich habe gelernt, solche Gedanken sofort beiseitezuschieben.
Solche Dinge können passieren.
Pass dich an. Konzentriere dich auf deinen Auftrag.
»Hat dir mein Dad da drin das Ohr abgekaut?«, fragt Sam, während wir gemeinsam den Flur entlanggehen.
»Beide Ohren.«
»Er muss eine wichtige Entscheidung treffen und deshalb ist er ein bisschen durch den Wind.«
»Du meinst, ob die Müllabfuhr jetzt donnerstags statt freitags kommen soll?«
»Sehr witzig«, sagt sie. »Er denkt darüber nach, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen will.«
»Ich wusste nicht, dass sich Bürgermeister über so was Gedanken machen müssen.«
»Bürgermeister in ihrer letzten Amtsperiode schon«, sagt Sam. »Das ist das Charmante an so einem Job. Irgendwann muss man seinen Platz räumen. Und dann hat man ein Problem.«
»Ich dachte, er übernimmt wieder die Leitung seiner Firma?«
Die Firma des Bürgermeisters heißt GRAM: Global Risk Assessment Modeling. Ausgefeilte Algorithmen zur Gewinnung von Daten über globale Sicherheitsrisiken. Dank seiner analytischen Theorien wurde der Professor zum Geschäftsmann und der Geschäftsmann schließlich zum Milliardär. Zu einer Zeit, als Amerikas Selbstvertrauen erschüttert war, wurde der Milliardär Bürgermeister von New York.
Zumindest ist das die offizielle
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