Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)
Plane im Türrahmen. Ich werfe mich hinter eine Säule, bevor einer der beiden Männer hereinkommt. Ich schiele um die Ecke, beobachte seine Bewegungen.
Er ist nervös. Er späht ins Zimmer, dreht den Kopf hin und her, hält nach mir Ausschau. Ich halte den Atem an, fahre meinen Energielevel herunter.
Nach einer Weile atmet er geräuschvoll aus und geht rückwärts Richtung Tür.
Kurz davor bleibt er stehen, starrt auf den Fußboden.
Der staubige Boden wird von der Straßenlaterne erhellt. Die Arbeiter haben mit ihren Überschuhen deutliche Abdrücke hinterlassen.
Meine Spuren kreuzen sie.
Ich habe nicht auf den Boden geschaut.
Dumm von mir.
Der Mann folgt meinen Fußspuren. Er hebt eine Metallstange auf und kommt näher.
Als er auf meiner Höhe ist, schlage ich zu. Ich springe hinter der Säule hervor, packe ihn mit einem Arm unter der Schulter und presse ihm die Hand auf den Mund.
Die Stange fällt mit lautem Scheppern auf den Boden.
Im Stockwerk unter uns regt sich etwas. Dann rennt jemand die Treppe herauf.
Ich packe den Mann fester, der sich in meinen Armen windet. Wir drehen uns in einem linkischen Tanz durch den Raum. Mein Blick fällt auf die teure Tapete, die in Streifen von der Wand hängt.
Ich stelle mir das Zimmer vollständig eingerichtet vor, elegant und wohnlich, darin eine glückliche Familie, die friedlich ihren Beschäftigungen nachgeht.
Aber das war in einer anderen Zeit.
Jetzt herrscht hier rohe Gewalt.
Der Mann in meinen Armen wehrt sich, versucht mich abzuschütteln. Ich verstärke den Druck, spüre die Spannung und dass seine Schulter gleich aus dem Gelenk springt. Ich will ihm nicht unnötig wehtun. Nicht, wenn es sich vermeiden lässt. Aber ich muss wissen, wer er ist, ihm Fragen stellen.
Ein Schatten geht an der Plastikplane vorbei und dann weiter den Flur entlang.
Der Mann wehrt sich jetzt heftig, versucht sich loszureißen.
Ich presse weiter die Hand auf seinen Mund und halte ihm gleichzeitig die Nase zu, sodass er keine Luft mehr bekommt.
Falls der zweite Mann ins obere Stockwerk geht, werde ich diesen hier vorübergehend unschädlich machen und mich erst mal um ihn kümmern.
Aber der zweite Mann kommt zurück.
Ein Umriss taucht hinter der Plane auf. Seine Körperhaltung wirkt selbstsicher und unerschrocken, nicht nervös wie der Mann, den ich umklammert halte. Der Schatten. Er ist wieder da.
Ohne den Raum zu betreten, sondiert er die Lage. Sein Gesicht ist von der dicken Plastikplane verdeckt.
Plötzlich hat der Mann in meinen Armen ein Messer in der Hand. Offenbar hatte er es in einer Scheide an der Innenseite seines Unterarms versteckt.
Er sticht blind zu, versucht meinen Hals zu treffen oder die Schulter.
Ich ducke mich und die Klinge blitzt knapp drei Zentimeter neben meinem Gesicht auf.
Dieses Mal konnte ich ihm gerade noch ausweichen, beim nächsten Mal habe ich möglicherweise weniger Glück.
Ich töte nicht zum Spaß, nur, wenn es unbedingt sein muss.
Schnell gehe ich meine Optionen durch.
Es muss sein.
Ich nehme die Hand von seinem Mund und umfasse seine Stirn.
Er nutzt seine Chance und ruft etwas. Im selben Moment reiße ich seinen Kopf herum, bis seine Wirbelsäule knackt und er in meinen Armen zusammensackt.
Ein Ruf in einer fremden Sprache. Ich kenne ihn von meiner Ausbildung.
Eine Warnung.
Auf Arabisch.
Ich lasse ihn fallen und renne auf den Schatten zu, schlage die Plastikplane zurück.
Aber er ist weg.
Ich höre Schritte am unteren Ende der Treppe, dann das Zuschlagen der Haustür.
Er hat zu viel Vorsprung. Bis ich draußen bin, ist er längst über alle Berge.
Ich gehe zum Wohnzimmer zurück, den Blick auf den Boden geheftet.
Ich entdecke meine Fußabdrücke und die des ersten Mannes.
Dann sehe ich auch die des Schattens.
Abdrücke von Stiefeln im Staub. Nagelneu. Noch nicht eingelaufen.
Ich gehe zurück ins Wohnzimmer, zurück zu dem Mann, den ich gerade getötet habe.
Ich schleife ihn vors Fenster und durchsuche ihn im Licht der Straßenlaterne. Ich sehe mir seine Kleidung an. Wollpullover, Kakihose, Stiefel.
Alles neu.
Profis kaufen keine neuen Klamotten für einen Job. Es ist zu schwierig, sie auf alt zu trimmen. Neue Ledersohlen sind rutschig. Neue Gummisohlen bleiben kleben. Und bei genauem Hinsehen fliegt die Deckung auf.
Diese Typen haben eine militärische Ausbildung, aber Profis kaufen keine neuen Sachen. Es sei denn, sie haben es eilig.
Und stehen unter extremem Zeitdruck.
So wie ich.
Ich denke an die Warnung
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