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Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)

Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)

Titel: Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allen Zadoff
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ich um eine Ecke biege, sehe ich am Ende des Gangs eine angelehnte Tür, durch die ein Lichtstrahl fällt.
    Ich nähere mich ihr und spähe durch den Türspalt.
    Ein geschmackvoll eingerichtetes Arbeitszimmer. Der Schreibtisch ist mit Papieren und Stapeln von Computerausdrucken übersät. Die Schreibtischlampe taucht den Raum in ein warmes Licht. Vor dem Fenster steht ein dick gepolsterter Sessel. Ich sehe den Hinterkopf eines Mannes, dichtes graubraunes Haar.
    »Hallo?«, sage ich.
    Der Mann rührt sich nicht.
    »Entschuldigen Sie. Aber ich glaube, ich hab mich verlaufen.« Ich versuche, kleinlaut zu klingen.
    »Da sind Sie am einzigen Ort der Wohnung gelandet, wo die Party
nicht
stattfindet.«
    Das ist mein Stichwort.
    »Ehrlich gesagt ist mir das ganz recht.«
    »Wieso das?«
    »Ich bin neu an der Schule. Ich kenne praktisch niemanden hier.«
    »Dann sind Sie bei mir genau richtig.«
    Die Stimme. Die Frisur. Ich mime den Überraschten.
    »Meine Güte! Sie sind ja der Bürgermeister!«
    »Das wird jedenfalls behauptet.«
    Ich greife in meine Brusttasche und taste nach dem Kuli, den ich vorhin eingesteckt habe.
    »Das ist mir wirklich peinlich. Ich muss irgendwo falsch abgebogen sein.«
    Vom anderen Ende des Flurs ist Gelächter zu hören. Zwei Typen aus meiner Schule. Sie johlen und schlagen sich klatschend auf den Rücken.
    »Kommen Sie doch rein«, sagt der Bürgermeister.
    Ein leichter Akzent. Ein Hauch New Jersey klingt durch.
    »Gern. Für einen kleinen Moment«, sage ich. »Soll ich die Tür zumachen?«
    »Ja, bitte. Meine Ohren könnten ein bisschen Erholung vertragen.«
    »Okay.«
    Aus dem Wohnzimmer sind die dunklen, vibrierenden Töne einer Bassgitarre zu hören.
    Ich trete ein und schließe die Tür hinter mir.
    »Schon viel besser«, sagt der Bürgermeister.
    Ich versuche, die Risiken abzuwägen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir gestört werden? Dass es jemandem auffällt, wenn ich die Party früher verlasse? Dass der Verdacht automatisch auf mich fällt, wenn dem Bürgermeister etwas zustößt?
    Immerhin bin ich der Neue. Ein Fremder. Der erst seit einem Tag an der Schule ist.
    Es könnte ein Fehler sein, die Sache jetzt durchzuziehen.
    Solche Entscheidungen muss ich in meinem Job ständig treffen. Wann bin ich in das Umfeld meines Opfers gut genug integriert, um zuschlagen zu können, ohne dass man mich hinterher verdächtigt? Manchmal erledige ich einen Auftrag so schnell, dass ich abgetaucht bin, ehe überhaupt jemand meine Anwesenheit bemerkt hat. Manchmal warte ich auf die ideale Gelegenheit. Und manchmal   …
    Manchmal nimmt mir das Schicksal die Entscheidung ab.
    Der Bürgermeister dreht sich um, sodass ich sein Gesicht sehen kann. Eine Hälfte wird von der Schreibtischlampe beleuchtet, die andere liegt im Dunkeln.
    Es ist ein sympathisches Gesicht. Ein bekanntes Gesicht.
    Wache Augen.
    Sam hat die gleichen Augen.
    Egal. Wir sind beide im selben Zimmer. Und die Tür ist geschlossen.
    Ich muss nur den Job erledigen und zu den anderen ins Wohnzimmer zurückgehen, bevor man die Leiche entdeckt.
    »Was schätzen Sie, wie viele Wohnungen man von hier oben sieht?«, fragt der Bürgermeister.
    Er hat mir wieder den Rücken zugewandt und schaut aus dem Fenster.
    Ich folge seinem Blick. Eine grandiose Aussicht. Man sieht über das Dach des Natural History Museum hinweg auf ein Meer erleuchteter Fenster. Das Leben hinter unzähligen kleinen Glasscheiben verborgen.
    »Tausende, nehm ich an«, sage ich. Ich stehe jetzt hinter ihm, etwa einen Meter von seiner linken Schulter entfernt.
    »Rund zwölftausend«, sagt der Bürgermeister.
    »Haben Sie die etwa gezählt?«
    »Brauche ich nicht. Ich wähle einfach einen zwei Quadratzentimeter großen Ausschnitt in der Glasscheibe aus und zähle die Fenster, die ich durch diesen Ausschnitt sehe. Diese Menge rechne ich dann auf die Gesamtfläche der Scheibe hoch und teile das Ergebnis durch die durchschnittliche Anzahl der Fenster einer Wohnung.«
    »Wow, jetzt verstehe ich, warum Sie Bürgermeister sind und ich in Trigonometrie ein kompletter Versager.«
    Er lacht.
    Ich ziehe den Kuli aus meiner Brusttasche, drehe ihn zwischen den Fingern, taste nach der Kappe.
    »Zwölftausend. Nur in diesem Teil der Stadt«, sagt der Bürgermeister. »Stellen Sie sich vor, Sie würden eine Wohnung suchen. Wie könnten Sie bei der riesigen Auswahl die richtige finden?«
    Plötzlich sehe ich das Gesicht meines Vaters vor mir. Wir sind in seinem Büro in der Uni. Er

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