Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)
hundertprozentig sicher. Ganz egal, wie gut man eine Nachricht verschlüsselt und über wie viele Server man die digitalen Signale verschickt, jede lässt sich zu ihrer Quelle zurückverfolgen.
Und das ist der Grund, weshalb meine Auftraggeber und ich uns bei unseren Gesprächen immer verstellen müssen.
Aber es gibt noch einen anderen Kommunikationsweg. Jugendliche auf der ganzen Welt benutzen ihn täglich.
MMORPG. Massively Multiplayer Online Role-Playing Game. Online-Rollenspiele.
Zigtausend Spieler bewegen sich zur selben Zeit in derselben virtuellen Welt. Eine ideale Möglichkeit, um sich ungestört zu unterhalten. Aber wir greifen nur in Notfällen darauf zurück.
Wenn Mutter mir eine Kontaktanfrage schickt, heißt das nichts Gutes. Höchste Alarmstufe.
Ich lege mein iPhone weg.
Ich setze mich vor den Flachbildfernseher im Wohnzimmer und schalte die Spielkonsole ein.
Dann setze ich den Kopfhörer auf. Der Controller ist bereit.
Ich starte
Zombie Crushed Dead!
, einen Ego-Shooter.
Level 6. Karte 4. Der Jäger wird zum Gejagten.
Spielfigur: Marine Corporal.
Waffe: Sturmgewehr M4.
Start.
Plötzlich höre ich Mutters Stimme.
»Was denkst du dir eigentlich?«
Sie klingt ziemlich wütend.
Ich habe sie noch nie wütend erlebt. Wahrscheinlich tut sie nur so, um mir einen Schreck einzujagen.
Und das schafft sie auch. Mein Atem geht schneller und meine Hände werden feucht.
Im Onlinespiel bin ich ein Zombie-Jäger. Ich gehe durch eine brennende Stadt voller verlassener Gebäude, während mich die Untoten von allen Seiten belauern.
»Antworte mir.«
Mutters Stimme. Aber weit und breit keine Spielfigur.
Die Stimme eines Racheengels.
»Ich hab den Auftrag nicht erledigt.« Die Lippen meiner Figur bewegen sich. »Noch nicht, meine ich.«
»Du warst zweimal in der Wohnung des Bürgermeisters.«
»Wir waren aber nicht allein. Das Risiko war zu groß.«
Stille.
»Sind das faule Ausreden?«
»Nein, Tatsachen.«
»Sonst hat dich nie etwas von deinem Job abgehalten.«
»Diesmal ist es eben anders.«
Ich gehe um eine Hausecke und feuere ein ganzes Magazin auf eine Horde Zombies ab, die auf mich zurennt. Einer schreit gequält auf. »Warum, warum?«, wimmert er.
»Hör zu, Mutter. Das ist kein normaler Auftrag. Das hast du selbst gesagt. Du hast Vater sogar gebeten, mir auszurichten, dass ich vorsichtig sein soll. Wegen der außergewöhnlichen Umstände.«
Stimmen schwirren um mich herum. Spieler aus der ganzen Welt reden durcheinander. Sticheln, prahlen, bluffen. Suchen Zombie-Sex.
»Du findest also, dass es meine Schuld ist?«, fragt Mutter. »Dass ich dich mit dem Auftrag überfordert habe?«
»Natürlich nicht.«
»Was hindert dich dann daran, den Job zu Ende zu bringen?«
Ich antworte nicht.
»Dein Verhalten ist bedenklich.«
Bedenklich
. Das Wort jagt mir einen Schauer über den Rücken.
Ein Zombie heult auf. Der Laut hallt von den Berghängen ringsum wider.
»Wir wussten, dass das früher oder später passieren würde«, sagt Mutter.
»Was?«
»Dass du dich verliebst.«
»Ich hab mich nicht verliebt.«
Eine Zombie-Horde rennt auf mich zu. Ich weiche nach links aus, stolpere über einen Baumstamm. Gleich wird die Meute über mich herfallen.
Im letzten Moment schaffe ich es, wieder auf die Beine zu kommen.
»Wir haben damit gerechnet. Wir haben sogar versucht, dich darauf vorzubereiten. Erinnerst du dich?«
Mein erstes Mädchen.
Wir haben an dem Abend miteinander geschlafen. Es war das erste Mal, dass ich allein wegdurfte. Ich dachte, wir wären verliebt. Ich glaubte, ich wäre ein ganz normaler Junge, wenn auch nur für eine Nacht.
Ich wusste nicht, dass Mutter das Ganze eingefädelt hatte.
»Natürlich.«
»Aber es ist trotzdem passiert. Ausgerechnet während einer Mission. Du hast einen guten Geschmack, aber dein Timing ist miserabel.«
»Ich hab gar keinen Geschmack.«
»Das glaubst du vielleicht, aber das stimmt nicht. Ich habe dich schließlich ausgebildet. Ich kenne dich besser als du dich selbst.«
Einer der Zombies ist nicht ganz tot. Sein Körper ist in zweiHälften gerissen, aber er kriecht trotzdem mit gierigen Augen auf mich zu.
Ich jage ihm eine Kugel durch den Kopf.
»Ich würde gern nach Hause kommen.«
Ich kann nicht glauben, dass ich das gesagt habe. Es ist mir einfach so herausgerutscht.
»Nach Hause?«
Mutter klingt überrascht.
»Nicht lang. Nur um euch mal zu sehen.«
Es ist zwei Jahre her, seit ich die Frau, mit der ich gerade spreche,
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