Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)
dran.
»Ni hao ma?«
, sage ich.
Wie geht’s?
Das ist alles, was ich auf Chinesisch sagen kann.
Ich lausche einen Moment, halte dann das Handy dem vierten Mann hin, als wäre der Anruf für ihn. Er ist so überrascht, dass er nicht weiß, was er tun soll.
Ich schwenke das Handy hin und her. Schüttle den Kopf, als hielte ich ihn für begriffsstutzig. Wir hören beide die wütende Stimme am anderen Ende, die irgendwas brüllt.
Ich weiß nicht, was sie sagt, aber das ist auch egal.
Leistungskurs Biologie. Thema: Konkurrenten und Räuber in der Tierwelt.
Ich wedele mit dem Handy.
Der Typ will danach greifen.
Im selben Moment versetze ich ihm einen Schlag an die rechte Schläfe, eine empfindliche Stelle, drei Zentimeter neben dem Auge. Ich schlage so fest zu, dass das Smartphone zerbricht.
Er sinkt zu Boden.
Geschafft.
Was wäre passiert, wenn das Handy nicht geklingelt hätte?
Nicht jetzt. Darüber kann ich jetzt nicht nachdenken.
»Der Zufall kann dein Freund oder dein Feind sein«, sagte Mutter immer. »Sieh zu, dass du ihn auf deiner Seite hast.«
Mutter nenne ich die Frau, die mich ausgebildet hat.
Sie hat mir diesen Rat mit auf den Weg gegeben. Und den habe ich eben befolgt.
Ich blicke auf die vier Männer, die um mich herum auf dem Boden liegen.
Ich blicke auf die Waffe zu meinen Füßen.
Mutter hat mir noch etwas beigebracht: Töten gehört zwar zu meinem Geschäft, aber es sollte immer nur das letzte Mittel sein. Ich könnte diese Männer endgültig zum Schweigen bringen,aber das ist nicht nötig. Ich habe ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das genügt.
Sie müssen nicht unbedingt sterben, zumindest nicht jetzt.
Fall erledigt.
Jetzt werde ich telefonieren. Mit meinem iPhone.
Es sieht aus wie ein stinknormales Handy, aber das täuscht. Das Design ist dasselbe, aber es funktioniert völlig anders. Und die Apps? Na ja, die sind alles andere als normal.
Ich öffne die Wetter-App. Und klicke auf UNWETTER-WARNUNG.
Ich halte das iPhone hoch. Kurz darauf taucht auf dem Display eine Karte mit einem GP S-Punkt auf, der meine Position anzeigt. Er leuchtet rot, dann blinkt er grün.
In Kürze wird ein Aufräumkommando hier eintreffen.
Mutter wird nicht sehr erfreut sein. Ich werde wohl einiges erklären müssen.
Ich ziehe die Autoschlüssel aus der Jackentasche des vierten Mannes, steige in die Limousine und starte den Motor. Ich muss sicher keine Angst haben, dass sie das Auto als gestohlen melden. Das sieht chinesischen Agenten nicht ähnlich.
Außerdem hat der Wagen ein Diplomatenkennzeichen. Und ich fahre gern schnell.
Ich rase die Autobahn entlang.
Unter normalen Umständen mache ich das nicht. In der Regel vermeide ich es, Aufmerksamkeit zu erregen.
Aber ein Diplomatenkennzeichen ist praktisch ein Freibrief für schnelles Fahren. Außerdem nimmt es auf der Autobahn niemand mit den Verkehrsregeln so genau.
Ich fahre in Richtung Boston. Die Leitpfosten fliegen vorbei. Mit jeder zurückgelegten Meile fühle ich mich etwas sicherer.
Ich werfe einen Blick in den Rückspiegel, vergewissere mich, dass mir niemand folgt. Dann öffne ich das Schiebedach, um den Himmel im Auge zu behalten.
Nichts.
Ich denke kurz an Jack, frage mich, wie es ihm wohl gerade geht. Im Bruchteil einer Sekunde wurde er zu einer weiteren Ziffer in einer traurigen Statistik. Der Tod seines Vaters wird den privilegierten Schülern der Natick-Highschool wie eine mittlere Katastrophe vorkommen. Ein junger Mann, der unerwartete Verlust eines Elternteils, eine Zeit der Trauer, dann eine Phase der Akzeptanz.
Aber ich weiß etwas, was Jack nicht weiß:
Das Leben geht weiter.
Selbst nach den schlimmsten Schicksalsschlägen geht es einfach weiter.
Ich bin zwar erst sechzehn, aber diese Lektion habe ich bereits gelernt. Sie hilft mir, das zu tun, was ich tun muss.
Ich weiß noch etwas anderes:
Jacks Vater ist nicht der, für den er sich ausgab.
Jack glaubte, dass sein Vater der Chef einer Hightechfirma war, die wichtige Regierungsaufträge erhielt.
Das stimmt auch.
Aber es ist nur die halbe Wahrheit. Jacks Vater arbeitete nebenher mit den falschen Leuten zusammen. Nach meinem Intermezzo mit den vier chinesischen Agenten vermute ich, dass es sich um die chinesische Regierung handelte.
Die Einzelheiten gehen mich nichts an. Sie haben mich nicht zu interessieren.
Mein Job ist es, einen Auftrag zu erledigen und anschließend wieder zu verschwinden.
Man teilt mir eine Aufgabe zu. Ich brauche nicht zu
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