Boys Dont Cry
sich.
»Danke, Veronica«, sagte ich lächelnd und bot ihr ebenfalls meine Hand. Unser Händedruck geriet ein wenig fester und ein wenig länger, als nötig gewesen wäre.
Nachdem sie gegangen war, tauschten Dad und ich einen erleichterten Blick und lächelten uns an. Das war das kleine Stück blauer Himmel, das durch die grauen Regenwolken schimmerte.
Der Frühling war gekommen, endlich. Morgen hatte Adam Geburtstag und ich wollte ihn mit etwas ganz Besonderem überraschen. Kaufen konnte ich nichts, weil ich total pleite war. Aber irgendetwas musste ich mir einfallen lassen, um ihn aus seiner Lethargie zu reißen.
Ich ließ Emma im Wohnzimmer und stiefelte hinauf zu meinem Bruder. Adam saß wie üblich auf seinem Stuhl und starrte, mit dem Rücken zur Tür, aus dem Fenster auf den verlassenen Garten hinter unserem Haus. Seine Phobie davor, dass jemand sein Gesicht sah, wurde immer stärker – sogar bei Dad und mir.
»Hallöchen, Adam«, sagte ich und zwang mich zu einem fröhlichen Tonfall.
Er antwortete nicht, aber das hatte ich eigentlich auch nicht anders erwartet.
»Was wünschst du dir denn zu deinem Geburtstag?«
Schweigen.
»Ach, komm schon. Du musst doch einen Wunsch haben. Und Emma und ich werden ihn von Herzen gern erfüllen«, sagte ich und hoffte darauf, dass die Botschaft ankommen würde.
»Kann ich einen Spiegel haben?«
Ich musste mich wohl verhört haben. »Wie bitte?«
»Kann ich bitte einen Spiegel haben?«, wiederholte Adam.
»Wie? Jetzt?«, fragte ich verwirrt.
»Ja, bitte.«
Ich war mir unsicher, aber Dad war noch nicht zurück – ich konnte mich also nicht mit ihm beraten. Und ihn bloß deswegen anzurufen, kam mir blöd vor. War das nicht in gewisser Weise ein Fortschritt, die Tatsache, dass Adam bereit war, sich mit seinem Anblick auseinanderzusetzen?
Ich lief los, um den Badezimmerspiegel zu holen, den Dad in der Abstellkammer unter der Treppe deponiert hatte. Vielleicht … vielleicht würde ich nun endlich meinen Bruder zurückbekommen. Wieder in Adams Zimmer, hielt ich den Spiegel mit der Rückseite zu Adam. Er wandte sich langsam mir zu.
»Soll ich ihn dir hochhalten?«, fragte ich.
Adam nickte.
Ich drehte den Spiegel um und hob ihn dann auf gleiche Höhe wie Adams Gesicht. Die Zeit schien stillzustehen, während Adam sich musterte. Die Narbe an seiner Schläfe war verblasst, ebenso wie die Einstichmale auf seiner Wange. Seine rechte Backe war nicht mehr fleckig, aber die Haut war auch nicht so glatt wie vorher. Die schlimmste Verunstaltung war sein rechtes Auge, das immer noch merklich herabhing.
Als Adam schließlich den Mund aufmachte, sagte er bloß: »Du kannst ihn wieder wegnehmen.«
Ich setzte den Spiegel ab und lehnte ihn an die Wand neben der Tür.
»Meine Schauspielkarriere hat sich damit ja wohl erledigt«, meinte Adam.
»Was redest du denn da? Du kannst immer noch Schauspieler werden. He, mein Bruder schafft alles, was er sich in den Kopf gesetzt hat«, sagte ich. »Und wenn das nicht klappt, gibt es noch eine Menge anderer Möglichkeiten.«
»Ich habe mir nie einen Plan B zurechtgelegt, erinnerst du dich?«
»Das bedeutet nicht, dass du nicht jetzt damit anfangen kannst.«
Adam gab keine Antwort.
»Willst du … willst du, dass wir über diese Nacht reden?«, fragte ich vorsichtig.
»Darüber zu reden ändert überhaupt nichts.« Adam zuckte die Schultern.
»Hat es dir etwa nicht geholfen zu hören, dass Josh zur Polizei gegangen ist und sich gestellt hat?«
»Eigentlich nicht«, entgegnete Adam. Er zeigte so wenig Emotionen, als sprächen wir über die Farbe der Ziegel auf unserem Dach.
Ich musste ihm die eine Frage stellen, die mich seit Monaten beschäftigte. »Adam, warum hast du das getan? Himmel noch mal, warum hast du ihn geküsst?«
»Weil er … mich zuerst geküsst hat«, flüsterte Adam.
Ich starrte ihn an. »Was?«
»Weißt du noch, der Abend, an dem deine Schulabschlussfete in der Bar Belle gestiegen ist?«
Ich nickte.
»Na ja, als du weg warst, hat Josh versucht mich zu küssen. Ich wollte nicht. Also hat er mir stattdessen eine geklebt.«
Diese Neuigkeit haute mich um. »Ernsthaft?«, fragte ich.
»Warum sollte ich lügen, Dante?«
»Damals hast du behauptet, Josh hätte nichts damit zu tun«, erinnerte ich ihn.
Adam zuckte die Schultern. »Na ja, ich habe gelogen, weil Josh mit dir befreundet war und ich nicht wollte, dass ihr wegen mir Streit bekommt, aber jetzt lüge ich nicht. Josh hat tatsächlich versucht,
Weitere Kostenlose Bücher