BRAINFUCK
Tieren, denen es bestimmt ist, Qualen zu erleiden. Das ist mein Plan. Das ist meine Gerechtigkeit! Ihr unwissenden Würmer glaubt, die Welt verbessern zu müssen. Meine Welt kann man nicht verbessern!« Bei den letzten Sätzen wurde der Ton lauter und endete in einem Crescendo, das Stefans Kopf an den Rand seiner Belastbarkeit brachte. Dann wurde es dunkel und still um ihn.
*
Er schwamm um seine Mutter herum und stupste sie mit der Schnauze an, um sie dazu zu bewegen, mit ihm zu spielen. Sie machte keine Anstalten, seiner Aufforderung nachzukommen. Etwas schien sie zu beunruhigen. Aus der Ferne hörte er Geräusche von Booten und Rufe von Menschen, die wie »Grindaboð« klangen.
Xande
„Es ist sinnlos, sich verrückt zu machen, indem man versucht, sich davor zu bewahren, verrückt zu werden. Da könnte man genauso gut einfach klein beigeben und sich die Vernunft für später aufheben.“
(Douglas Adams)
Seit ich nicht mehr trinke, geht es mir gut. Ein langer, steiniger Weg liegt hinter mir. Vom Frauenwohnheim bis dorthin, wo ich jetzt bin. Und ohne Xande wäre es unmöglich gewesen, soweit zu kommen. Ich bin ihm unendlich dankbar. Ich habe vier Wände, eine Arbeit und fühle mich beschützt und gut aufgehoben.
*
Xande erschien fünf Monate nach Beendigung der Therapie bei mir. Ich stand knapp vor einem Rückfall und die regelmäßigen Gespräche mit meiner Therapeutin Anja gestalteten sich zunehmend schwierig.
»Jenny, du musst für dich sorgen«, war einer ihrer Lieblingssprüche.
»Das versuche ich doch!«, eine meiner Lieblingsantworten.
Ich sollte auf meine Gefühle achten. Lernen, sie zu benennen und Unterscheidungen zu treffen, was ich möchte und was nicht. Keine leichte Aufgabe, wenn man sein Leben damit zugebracht hat, jede Gefühlsregung mit Alkohol zu unterdrücken. Unter Anjas Anleitung brachte ich Woche um Woche damit zu, aus »Mir geht es schlecht« herauszufiltern, ob Enttäuschung, Neid, Frustration, Traurigkeit, Angst, Wut, Unsicherheit oder eines der vielen anderen negativen Gefühle dahintersteckte.
Die Aussage »Es geht mir gut« lernte ich in Freude, Gelassenheit, positive Erregung, Mut, Tatendrang, Neugierde, Euphorie, Ausgeglichenheit, Verliebtheit, Vorfreude, Bewunderung, Glücksgefühl oder Zufriedenheit aufzuschlüsseln.
Ich übte intensiv, die verschiedenen Kombinationen zu erkennen und zu verstehen. Diese ersten Lernschritte fielen mir leicht und ich fühlte mich gut mit der Tatsache, auf dem richtigen Weg zu sein. Bis zu der Therapiesitzung, in der ich Anja erzählte, dass ich aufgrund eines bevorstehenden Bewerbungsgesprächs Angst, Nervosität und Unsicherheit verspürte. Ein Anflug von Stolz mischte sich in meine Gefühlsmelange, weil ich in der Lage war, die herrschenden Empfindungen detailliert darzustellen.
»Und was tust du? Was tust du dafür, dass es dir besser geht?« Anjas Frage irritierte mich.
Wie eine Seifenblase, die mit einem Rosenbusch kollidiert, zerplatzte die Aufwallung von Stolz und machte Ratlosigkeit Platz. »Was soll ich denn tun?«
»Höre auf deine Gefühle, die Antwort steckt tief in dir, du musst sie nur finden. Das meine ich, wenn ich dir sage, dass du für dich sorgen sollst, Jenny!«
Für mich sorgen … für mich sorgen … fiel dieser Fachfrau, die Sucht einzig aus Büchern kannte, nichts Besseres ein, als mir ständig diese undurchschaubare Weisheit mit auf den Weg zu geben? An diesem Tag war ich froh, als die Sitzung zu Ende war.
*
Die Erkenntnis, an diesem Nachmittag noch einkaufen zu müssen, kam zu einem ungünstigen Zeitpunkt.
Im Supermarkt schlug ich einen weiten Bogen um die Regale mit den alkoholischen Getränken, mir bewusst, dass sich die Konfrontation spätestens an der Kasse nicht vermeiden lassen würde. »Los! Kauf mich!«, flüsterte das Wodkafläschchen. »Hey Jenny, du weißt doch, wie gut ich mit Cola schmecke!«, wisperte der Cognacflachmann.
Ich lenkte mich ab, indem ich mich krampfhaft darauf konzentrierte, die Markennamen der Lockangebote auf der anderen Seite zu entziffern und Reime daraus zu bilden.
Plötzlich hieß ›Raider‹ ›Twix‹, ja das ging recht fix.
›Mars‹ bringt die Energie zurück, da reicht schon ein kleines Stück.
Sind sie zu stark, bist du zu schwach, mit ›Red Bull Shot‹, da wirst du wach.
Fünf Klingen sind besser als drei, ich hab keinen Bart – mir einerlei.
»Sechzehn Euro siebenundsechzig bitte!« Die Stimme der mürrischen Kassiererin unterbrach meine
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