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Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Titel: Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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nebenan, The Great Pretender,
musste, beziehungsweise durfte – wenn nicht sogar musste dürfen – mit
nach New York.
    Ich ließ in der verbleibenden Woche, in der ich die
Veranstaltungen sporadisch besuchte, keinen Zweifel daran, dass New York für
mich weniger ein politisch brisanter Schmelztiegel der Widersprüche, als
vielmehr der Schauplatz von Ghostbusters sei. Nachdem ich am Samstag vor
Abflug altes Geld in US-Knete wechseln wollte, was dazu führte, dass der
übellaunige Schalterbeamte der Post die Dollars aus einem Schuhkarton fischte
und mir (wohl wegen der identisch aussehenden Noten) für fünfhundert Mark
tausenddreihundert Dollar aushändigte, war ich startklar und guter Dinge.
    Kann man nicht anders sagen.
     
    Wir waren zwölf Personen; zehn Paar pädagogisches Schuhwerk
dümpelten seit einer Stunde an unserem Gate, während Ingos Turnschuhe und meine
Bikerboots in ihrem Bemühen, uns zeitig zur Abfertigung zu tragen, Schlieren
auf den gebohnerten Böden hinterließen.
    Ich hatte verschlafen und damit Ingo, den Moralisten, in
eine tiefe Krise gerissen. Er stellte das Hyperventilieren erst ein, als wir
zwanzig Minuten vor Abflug am Flughafen eintrafen.
    Ingos Annahme, wir würden über uns einen Flieger voller
betroffener Gesichter sehen, die uns als ameisengroße Punkte am Boden echt
spannend fanden, wurden damit zerstreut.
    »Wo kommt Ihr denn her?« raunzte eine verstimmte
Strickjacke, deren Name mir gottlob entfallen ist.
    »Torsten hat …«, setze Ingo an.
    »… Ingo noch von Kopf bis Fuß eincremen müssen.
Papperlapapp, egal«, ergänzte ich mit schrägem Blick auf Ingo.
    »Witzig«, knurrte die Strickjacke, die meine im Prinzip
liebevoll gemeinten Bemerkungen über Ingos Haut – die er viermal täglich
fingerdick mit Nivea einstrich – als politisch-moralisch bedenklich einstufte.
    »Ich weiß«, sagte ich, wobei mein Gesicht so viel Regung
zeigte wie eine Küchenarbeitsplatte. Dann erfolgte unser Aufruf.
    Meine Freunde hätten locker rauchend bis zum dritten
Aufruf gewartet, um dann wie Gladiatoren in den vollen Flieger
einzumarschieren; meine Mitreisenden hingegen nahm schon die Panik, das
Flugzeug nach der ersten Durchsage zu verpassen, derartig mit, dass sie ihr
Handgepäck griffen und losspurteten wie Soldaten unter Beschuss.
    Beim Anblick dieses bunt gestrickten Haufens, der wild
Beutel schlenkernd den Gang hinunter galoppierte, musste ich unwillkürlich
lachen; es war, als würde die Besetzung von Jesus Christ Superstar an
einem planlosen Staffellauf teilnehmen.
     
    Der Flug selbst war nicht weiter erwähnenswert, sieht man
einmal vom Landeanflug auf New York ab: Unser Flieger flog derartig kecke
Winkel über der Stadt, dass mir der Speisebrei der Bordmahlzeit – die sich nur
unwesentlich von dem unterschied, was Robocop zu sich zu nehmen
gezwungen sieht – durch die Nase schoss.
    Außerdem hatten wir Schreibarbeiten bekommen. Wir mussten
für die amerikanische Zollbehörde eine Erklärung im klassischen
Ankreuzverfahren durchackern, die unter anderem folgende Fragen aufwarf:
    Sind sie jemals wegen eines Verbrechens im Zusammenhang
mit dem Holocaust verurteilt oder angeklagt worden?
    Leiden Sie unter ansteckenden Krankheiten?
    Führen Sie Südfrüchte oder Fleisch ein?
    Ich konnte alles verneinen, hatte aber eine vage
Vorstellung, was ein Altnazi mit Gürtelrose, der unter dem einen Arm eine
Ananas, unter dem anderen einen Rollbraten transportierte, durchmachen müsste,
um ins Land zu gelangen. Der Zollbeamte saß an einem erhöhten Pult, so dass er
mir auf den Kopf schauen konnte, und sah aus wie Judge Dredd.
    »Woher kommen Sie?«
    Ich sagte es ihm.
    »Was tun Sie hier?«
    »Politische Weiterbildung.« Ich fummelte die entsprechenden
Unterlagen mit Helmut Kohls blanko kopierter Unterschrift hervor, erntete einen
blutunterlaufenen Röntgenblick in die letzten Winkel meiner Chaotenseele und
einen Stempel in meinen Pass.
    Dann war ich drin.
     
    Wir fuhren über die Brooklyn Bridge. Alle Bilder von Castrop
Rauxel wurden sofort von meiner geistigen Festplatte gelöscht, um einem
sechstausend MB großen Bild der Stadt, die niemals schläft, Platz zu machen.
    Die Geräuschkulisse aus hupenden Autos und an- und
abschwellenden Sirenen war ohrenbetäubend, die Skyline monströs und alles zu
bunt für mich.
    Ich erlitt den ersten Kulturschock meines Lebens – ein
Zustand, der mich noch Tage später zwang, mit Litern von Haselnusskaffee im
Bauch durch die Straßen zu taumeln, unfähig,

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