Brandzeichen
dieses unglaubliche Gefühl, daß die Menschheit auf dem Weg zur Göttlichkeit ist - und daß wir es verdienen, dorthin zu kommen.«
Walt Gaines starrte das beschlagene Glas an, als könne er in den sich zu Mustern formenden Wassertröpfchen etwas von großem Interesse lesen. Dann meinte er:
»Vielleicht stimmt das, was du sagst. Vielleicht stehen wir an der Schwelle einer neuen Welt. Aber für den Augenblick müssen wir in der alten leben und uns mit ihr auseinandersetzen. Wenn es also nicht der Hund war, der meinen Hilfssheriff umgebracht hat - was war es dann?«
»Es ist noch etwas anderes aus Banodyne entkommen, in derselben Nacht, in der der Hund entkam«, sagte Lem. Plötzlich wurde seine Euphorie gedämpft durch die Notwendigkeit, zugeben zu müssen, daß das Francis-Projekt auch seine dunklere Seite gehabt hatte.
»Sie nannten es den Outsider.«
Nora hielt die Zeitschrift mit der Anzeige, die ein Automobil mit einem Tiger verglich und den Wagen in einem eisernen Käfig zeigte, in der Hand. Zu Einstein sagte sie:
»Also gut, dann laß uns sehen, was du noch für uns klarstellen kannst. Wie ist's mit dem hier? Was hat dich an diesem Foto interessiert - das Auto?«
Einstein bellte einmal. Nein, »War es der Tiger?« fragte Travis.
Ein Bellen.
»Der Käfig?« fragte Nora.
Einstein wedelte mit dem Schweif: Ja.
»Hast du dieses Bild gewählt, weil sie dich in einem Käfig gehalten haben?« fragte Nora.
Ja.
Travis suchte auf allen vieren kriechend, bis er das Foto des armen Unglücklichen in der Gefängniszelle fand. Er brachte es, zeigte es dem Retriever und sagte:
»Und hast du dieses hier gewählt, weil die Zelle wie ein Käfig ist?«
Ja.
»Und weil der Gefangene auf dem Bild dich daran erinnert, wie du dich fühltest, als du in einem Käfig warst?«
Ja.
»Die Violine«, sagte Nora.
»Hat jemand im Laboratorium dir auf der Violine vorgespielt?«
Ja.
»Warum sie das wohl getan haben mögen?« sagte Travis.
Darauf konnte der Hund nicht mit einem einfachen Ja oder Nein antworten.
»Hat dir das Violinspiel gefallen?« fragte Nora.
Ja.
»Magst du Musik?«
Ja.
»Magst du Jazz?«
Der Hund bellte weder, noch wedelte er mit dem Schweif.
Travis meinte:
»Er weiß nicht, was Jazz ist. Ich nehme an, sie haben ihn so etwas nie hören lassen.«
»Magst du Rock and Roll?« fragte Nora.
Ein Bellen und gleichzeitig ein Schweifwedeln.
»Was soll das jetzt bedeuten?« fragte Nora.
»Das bedeutet wahrscheinlich >ja und nein«, sagte Travis.
»Er mag einige Rock-and-Roll-Stücke, aber nicht alles.« Einstein wedelte mit dem Schweif, um Travis' Interpretation zu bestätigen.
»Klassische Musik?« fragte Nora. Ja.
»Wir haben es also hier mit einem Hund zu tun, der ein Snob ist, hm?« sagte Travis. Ja, ja, ja. Nora lachte vor Begeisterung und Travis ebenfalls. Und Einstein drängte sich zuerst an sie, dann an ihn und leckte ihnen glücklich die Hände. Travis sah sich nach einem anderen Bild um und schnappte sich das mit dem Mann auf dem Tretwerk.
»Ich kann mir vorstellen, daß sie dich nicht aus dem Labor rauslassen wollten, und doch müssen sie dich irgendwie fitgehalten haben. Haben sie dich so trainieren lassen? Auf einer Tretmühle?« Ja. Das Gefühl, eine Entdeckung gemacht zu haben, war erhebend. Travis hätte nicht faszinierter sein können, nicht aufgeregter und mehr von Ehrfurcht und Scheu ergriffen, wenn er mit einer extraterrestrischen Intelligenz Verbindung aufgenommen hätte.
Ich falle in ein Finsteres Loch, dachte Walt Gaines beklommen, während er Lem Johnson zuhörte. Diese neue High-Tech-Welt des Weltraumfluges, der Heimcomputer, der von Satelliten übertragenen Telefongespräche, der Fabrikroboter und jetzt der Gentechnologie schien ohne jede Beziehung zu der Welt zu sein, in der er geboren und aufgewachsen war. Um Himmels willen, im Zweiten Weltkrieg war er ein Kind gewesen, und damals hatte es noch nicht einmal Düsenflugzeuge gegeben. Er kam aus einer einfacheren Welt, in der die Chryslers mit ihren Schwanzflossen wie Boote aussahen, die Telefone Wählscheiben statt Tasten, die Uhren Zeiger statt digitaler Anzeigen hatten. Als er geboren wurde, gab es noch kein Femsehen, und die Möglichkeit eines nuklearen Armageddon, während seines Lebens Realität geworden, hatte damals niemand vorhersehen können. Er fühlte sich, als wäre er durch eine unsichtbare Barriere aus einer Welt in eine andere übergetreten, die sich auf einer schnelleren Bahn bewegte. Dieses
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