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Brandzeichen

Brandzeichen

Titel: Brandzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Kopfteil des Bettes. Nun, sicher, er war seinem Land gegenüber verdammt loyal, er liebte und ehrte es. Und der Agency gegenüber ebenfalls. Aber einem anderen Menschen gegenüber? Also gut: Karen, seine Frau. Karen war er in jeder Beziehung treu -im Herzen, in seinem Bewußtsein und in seinen Keimdrüsen. Er liebte Karen. Seit fast zwanzig Jahren liebte er sie innig.
    »Ja«, sagte er laut in dem Motelzimmer um zwei Uhr morgens,  »ja, und wenn du Karen so treu bist, warum bist du dann jetzt nicht bei ihr?« Aber da war er jetzt sich selbst gegenüber unfair; schließlich hatte er einen Auftrag zu erledigen, einen wichtigen Auftrag.
    »Das ist ja das Problem«, murmelte er,  »da ist immer -immer -irgend etwas zu erledigen.«
    Er verbrachte mehr als hundert Nächte im Jahr außer Haus, eine von dreien. Und wenn er zu Hause war, dann hatte er die Hälfte der Zeit anderes im Kopf, war auf den neuesten Fall konzentriert. Karen hatte sich einmal Kinder gewünscht, aber Lern hatte es immer wieder hinausgeschoben, eine Familie zu gründen, mit dem Hinweis, er könne die Verantwortung für Kinder nicht auf sich nehmen, solange er nicht seine Laufbahn gesichert sehe.
    »Gesichert?« sagte er.
    »Mann, du hast das Geld von deinem alten Herrn geerbt. Du hast mit einem besseren Sicherheitspolster angefangen als die meisten Leute.«
    Wenn er Karen so treu war wie jene Leute diesem Köter, dann müßte das auch bedeuten, daß Karens Wünsche Vorrang hatten. Wenn Karen eine Familie wollte, dann müßte die Familie Vorrang vor der Karriere haben. Stimmt's? Zumindest hätte er einen Kompromiß schließen und mit der Familie anfangen sollen, als sie Anfang Dreißig waren. Seine Zwanziger hätten der Laufbahn gewidmet sein können, seine Dreißiger den Kindern. Jetzt war er fünfundvierzig, fast sechsundvierzig, und Karen war dreiundvierzig, und die Zeit, eine Familie zu gründen, war vorbei. Lem überkam große Einsamkeit. Er stieg aus dem Bett, ging in Unterhosen ins Bad, schaltete das Licht ein und musterte sein Spiegelbild. Seine Augen waren blutunterlaufen und lagen tief in den Höhlen. Er hatte bei diesem Fall so viel Gewicht verloren, daß sein Gesicht anfing, wie ein Totenschädel auszusehen. Magenkrämpfe packten ihn, er beugte sich vor, hielt sich am Waschbecken fest. Das ging erst einen Monat so, aber sein Zustand schien sich in erschreckendem Tempo zu verschlimmern. Es dauerte endlos, bis der Schmerz aufhörte. Als er sich wieder seinem Abbild im Spiegel gegenübersah, sagte er:
    »Nicht einmal dir selbst bist du treu, du Arschloch. Du bringst dich um, arbeitest dich zu Tode und kannst einfach nicht aufhören. Karen bist du nicht treu, dir selbst bist du nicht treu. Nicht einmal deinem Land oder der Agency bist du richtig treu, wenn es darauf ankommt. Verdammt, das einzige, dem du völlig und unerschütterlich ergeben bist - ist diese Spinnervision deines alten Herrn, daß das Leben ein Hochseilakt ist.« Spinner. Das Wort schien noch lange, nachdem er es ausgesprochen hatte, im Badezimmer nachzuhallen. Er hatte seinen Vater geliebt und respektiert, ihm nie mit einem Wort widersprochen. Und doch hatte er heute Cliff gegenüber zugegeben, daß sein Vater >unmöglich< gewesen war. Und jetzt: >Spinnervision<. Er liebte seinen Vater immer noch, würde das immer tun. Aber er begann sich zu fragen, ob ein Sohn seinen Vater lieben und gleichzeitig das, was dieser ihn gelehrt hatte, völlig verwerfen konnte.
    Vor einem Jahr, vor einem Monat, ja noch vor ein paar Tagen hätte er gesagt, es sei unmöglich, jene Liebe festzuhalten und doch Herr seines Handelns zu sein. Aber jetzt, bei Gott, schien es nicht nur möglich, sondern wesentlich, die Liebe zum Vater zu trennen von dessen Lehre von der alles überragenden Wichtigkeit der Arbeit. Was geschieht mit mir? fragte er. Freiheit? Endlich die Freiheit mit fünfundvierzig? Er schaute mit zusammengekniffenen Augen in den Spiegel und sagte:
    »Fast sechsund vierzig.«

NEU N
    Am Sonntag fiel Travis auf, daß Einstein noch weniger Appetit hatte, aber am Montag, dem 29. November, schien der Retriever wieder ganz in Ordnung zu sein. Am Montag und Dienstag leerte Einstein seine Schüssel bis auf den Boden und las neue Bücher. Er nieste nur einmal, hustete überhaupt nicht. Er trank mehr Wasser als sonst, doch auch nicht in ungewöhnlicher Menge. Wenn es den Anschein hatte, als verbringe er mehr Zeit vor dem Kamin, trotte weniger munter durchs Haus ... nun, der Winter zog schnell herauf,

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