Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brandzeichen

Brandzeichen

Titel: Brandzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
Schußwaffe. Sie fühlte sich klein, zerbrechlich und schrecklich allein. Ob sie die Polizei rufen sollte? Aber was sollte sie denen sagen? Daß sie sexuell belästigt wurde? Das würde Riesengelächter auslösen, Sie ein Sexualobjekt? Sie war eine alte Jungfer, schlicht und einfach, jedenfalls alles andere als der Typ, der einem Mann den Kopf verdrehte und in ihm erotische Träume auslöste. Die Polizei würde annehmen, daß sie das Ganze entweder erfunden hatte oder daß sie hysterisch war. Oder, daß sie Strecks Höflichkeit als sexuelles Interesse mißdeutete, genau das, was auch sie anfangs gedacht hatte.
    Sie zog über dem weiten Männerpyjama, den sie trug, einen blauen Morgenmantel an und verknotete den Gürtel. Barfuß eilte sie in die Küche hinunter, wo sie zögernd ein Fleischermesser aus dem Fächergestell neben dem Ofen zog. Das Licht rann wie ein dünner Quecksilberstrom über die scharfgeschliffene Schneide.
    Während sie das blitzende Messer in der Hand drehte, sah sie ihre Augen im Spiegel der breiten, flachen Klinge. Sie starrte sich im polierten Stahl an und fragte sich, ob sie es fertigbringen würde, eine so schreckliche Waffe gegen ein anderes menschliches Wesen zu gebrauchen, selbst in Notwehr.
    Sie hoffte, es nie erfahren zu müssen.
    Als sie wieder oben war, legte sie das Fleischermesser auf den Nachttisch, in Reichweite.
    Sie zog den Morgenrock aus, setzte sich auf die Bettkante, schlang die Arme um ihren Leib und versuchte ihr Zittern zu beruhigen.

    »Warum gerade ich?« sagte sie laut.
    »Warum hat er es ausgerechnet auf mich abgesehen?«
    Streck hatte gesagt, sie sei hübsch, aber Nora wußte, daß das nicht stimmte. Ihre eigene Mutter hatte sie bei Tante Violet zurückgelassen und war in achtundzwanzig Jahren nur zweimal gekommen, das letzte Mal, als Nora sechs war. Ihren Vater hatte sie nie gekannt, und von den anderen Devon-Verwandten wollte niemand sie aufnehmen - ein Faktum, das Violet in aller Offenheit Noras wenig ansprechender Erscheinung zu  schrieb. Und deshalb konnte, auch wenn Streck sagte, sie sei hübsch, unmöglich sie es sein, die er begehrte. Nein, was er wollte, war der Nervenkitzel. Ihr Angst machen, Macht über sie ausüben, ihr weh tun, das wollte er. Solche Leute gab es. Sie hatte in Büchern und Zeitschriften über sie gelesen. Und Tante Violet hatte tausendmal gewarnt, wenn je ein Mann mit süßen Worten und süßem Lächeln daherkäme, würde er sie in den Himmel heben, bloß um sie später um so tiefer hinabzustürzen und ihr noch mehr weh zu tun.
    Nach einer Weile legte sich das Zittern. Nora stieg wieder ins Bett. Was von ihrer Eiskrem übriggeblieben war, war geschmolzen, und sie stellte die Schale auf dem Nachttisch ab. Sie nahm wieder den Dickens-Roman zur Hand und versuchte sich neuerlich in die Geschichte von Pip zu vertiefen. Aber sie war nicht ganz bei der Sache, warf immer wieder Blicke zum Telefon hinüber, auf das Fleischermesser - und durch die offene Tür hinaus auf den Flur, wo sie die ganze Zeit Bewegung wahrzunehmen glaubte.
    Travis ging in die Küche, und der Hund folgte ihm. Er deutete auf den Kühlschrank und sagte:
    »Zeig es mir. Tu es noch mal. Hol mir ein Bier. Zeig mir, wie du es gemacht hast.« Der Hund rührte sich nicht. Travis kauerte sich nieder.
    »Jetzt hör mir mal zu, Pelzgesicht,  wer hat dich aus dem Wald rausgeholt, weg von dem, das dich verfolgte, was immer das gewesen ist? Ich. Wer hat Hamburger für dich gekauft? Ich. Ich hab' dich gebadet, dir zu fressen gegeben und ein Zuhause. Jetzt schuldest du mir was. Hör jetzt auf, dich zu zieren. Wenn du dieses Ding öffnen kannst, dann tu es!«
    Der Hund trottete zu dem altersschwachen Frigidaire, ging mit dem Kopf an die untere Ecke der emaillierten Tür, packte den Rand mit den Zähnen und zog nach hinten, mit dem ganzen Körper nachhelfend. Die Gummidichtung öffnete sich mit einem kaum hörbaren saugenden Geräusch. Die Tür schwang auf. Der Hund schlüpfte schnell in die Öffnung, sprang hoch und stützte sich mit beiden Vorderpfoten an einem Regal ab.
    »Da soll mich doch der Teufel holen!« sagte Travis und trat näher. Der Retriever spähte in das zweite Regal, in dem Travis Dosen mit Bier, Diät-Pepsi und V-8-Gemüsesaft lagern hatte. Er schnappte sich eine weitere Bierdose, fiel auf die Vorderpfoten nieder und ließ die Kühlschranktür wieder zufallen, während er zu Travis kam, Er nahm das Bier in Empfang. Dann stand er da, in jeder Hand eine Dose, betrachtete den

Weitere Kostenlose Bücher