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Brandzeichen

Brandzeichen

Titel: Brandzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Zufallsprinzip gehorchend, am Ende imstande sein, jede einzelne Zeile der großen englischen Prosa neu zu schaffen. Daß dieser Hund, überlegte er, in genau zwei Minuten aus Hundekuchen ein Fragezeichen formte, und dies einzig und allein zufällig, war etwa zehnmal so unwahrscheinlich wie diese verdammten Affen, die Shakespeares Stücke neu schrieben. Der Hund beobachtete ihn voll Erwartung. Als Travis aufstand, stellte er fest, daß er etwas unsicher auf den Beinen war. Er ging zu den sorgfältig aufgelegten Hundekuchen, warf sie durcheinander und kehrte zu seinem Stuhl zurück. Der Retriever besah sich die Unordnung, schaute Travis fragend an, beschnüffelte die Hundekuchen und schien irgendwie verblüfft. Travis wartete. Es war unnatürlich still im Haus, so als wäre der Fluß der Zeit für jedes lebende Geschöpf, jede Maschine und jeden Gegenstand auf dieser Erde angehalten worden - ausgenommen für ihn, den Retriever und das, was sich in der Küche befand.
    Schließlich begann der Hund wie vorhin die Biskuits mit der Nase umherzuschieben. Nach ein oder zwei Minuten waren sie wiederum in der Form eines Fragezeichens angeordnet. Travis nahm einen langen Schluck Bier. Sein Herz schlug wie wild. Seine Handflächen waren feucht. Staunen und Verblüffung, wilde Freude und Angst vor dem Unbekannten erfüllten ihn, gleichzeitig hatten Bestürzung und ehrfürchtige Scheu ihn ergriffen. Er wollte lachen, hatte er doch nie auch nur annähernd so Spaßiges gesehen wie diesen Hund. Und er wollte weinen, denn noch vor Stunden hatte er geglaubt, das Leben sei trostlos, finster und ohne Sinn. Doch wie schmerzvoll es auch manchmal sein mochte: Das Leben war doch, wie er jetzt begriff, etwas ungemein Wertvolles. Er hatte tatsächich das Gefühl, Gott habe ihm den Retriever gesandt, um ihn nieder neugierig zu machen, ihn daran zu erinnern, daß die Zeit voller Überraschungen war und Verzweiflung keinen Sinn ergab, solange man den Zweck - und die seltsamen Möglichkeiten - der Existenz nicht begriff. Travis wollte lachen, aber sein Lachen bewegte sich am Rand eines Schluchzens. Als er jedoch dem Schluchzen nachgab, wurde ein Lachen daraus. Er wollte aufstehen, wußte gleich, daß er noch zittriger war als vorhin, zu zittrig; also tat er das einzige, wozu er imstande war: Er blieb in seinem Stuhl sitzen und nahm noch einen langen Schluck Bier. Der Hund legte den Kopf schief, zuerst nach der einen, dann nach der anderen Seite, beobachtete ihn scharf, als dächte er, Travis habe den Verstand verloren. Das hatte er ja auch. Vor Monaten. Aber jetzt fühlte er sich viel besser. Er stellte das Bier nieder und wischte sich mit den Handrükken die Tränen aus den Augen. Dann sagte er:
    »Komm her, Pelzgesicht!« Der Retriever zögerte und kam dann zu ihm. Travis zerzauste ihm das Fell, streichelte ihn, kratzte ihn hinter den Ohren.
    »Du erstaunst mich und machst mir Angst. Ich kann mir nicht zusammenreimen, woher du kommst oder wie du zu dem geworden bist, was du jetzt bist. Aber du hättest keinen Platz finden können, wo man dich mehr braucht. Ein Fragezeichen, hm? Herrgott! Also schön. Du willst wissen, warum ich fand, das Leben habe mir weder Sinn noch Freuden zu bieten? Ich will's dir sagen. Ja, bei Gott, das will ich. Ich werde hier sitzen, noch ein Bier trinken und es einem Hund erzählen. Vorher aber... werd' ich dir einen Namen geben.« Der Hund blies die Luft durch die Nüstern, als wollte er sagen: Nun, wird ja auch Zeit. Travis umfaßte den Kopf des Hundes und sah ihm dabei tief in die Augen. Dann sagte er:
    »Einstein. Von nun an. Pelzgesicht, heißt du Einstein.«
    Um zehn Minuten nach Neun rief Streck wieder an. Nora schnappte sich den Hörer beim ersten Klingeln, war fest entschlossen, ihm zu sagen, er solle sie in Ruhe lassen. Aber aus irgendeinem Grund verkrampfte sich in ihr wieder alles, und sie brachte kein Wort heraus. Mit abstoßender Vertraulichkeit sagte er:
    »Vermißt du mich, Hübsches? Hm? Wünschst du dir, daß ich komme und dir ein Mann bin?« Sie legte auf. Was stimmt bloß nicht mit mir? fragte sie sich. Warum schaffe ich es nicht, ihm zu sagen, er soll sich trollen und aufhören, mich zu belästigen? Vielleicht kam ihre Sprachlosigkeit vom verborgeneren Wunsch, zu hören, wie ein Mann - irgendein Mann, selbst ein so abstoßender wie Streck - sie hübsch nannte. Obwohl er nicht von der Art war, die der Zärtlichkeit oder Zuneigung fähig war, konnte sie ihm zuhören und sich dabei ausmalen, wie es

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