Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brann 01 - Seelentrinkerin

Brann 01 - Seelentrinkerin

Titel: Brann 01 - Seelentrinkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
Vom Netzwerk:
hinüber zu dem Blinden Schiff. »Bald wird's vorbei sein«, flüsterte er bei sich, »es muß bald vorbei sein.« Er versuchte sich einzureden, es sei tatsächlich so, er sei damit fertig, sich mit Angelegenheiten zu befassen, die ihm Entsetzen einflößten. Er wünschte, die Kadda-Hexe wäre schon tot, Hotea könnte ihren Frieden haben, wäre nicht diese Blutsaugerin, und er müßte nicht länger Hoteas Schimpfen und Klagen erdulden, ihre ständige Gegenwart, die Unmöglichkeit, sich ihren Augen zu entziehen. Am liebsten wäre er ohne weiteres von den Ballen geklettert und hätte Seit für das nächste Dutzend Jahre verlassen, aber das durfte er auf keinen Fall tun. Täte er es, würde er Hotea niemals los, sie bliebe sein ganzes Leben lang bei ihm — und danach auch noch. Er unterdrückte ein Aufstöhnen.
    Auf dem Wasser brannten die in der Bootssiedlung der Woda-an verstreut sichtbaren Fackeln herab, die Klapperrasseln schwiegen. Aber hinter Aituatea schoß nun vom einzigen Berg der Selt-Inseln, auf dem der Tempel stand, Rakete um Rakete in die Dunkelheit empor, erzeugte Zischen, Knattern und Krachen, um die Feinde Godalaus und ihrer Nebengottheiten zu verscheuchen. Ein Abschnitt eines Abzählreims für ein Festfeuerwerk ging ihm durch den Sinn.
     
Blauer Glanz für Godalau,
Meeresgöttin und Himmelskönigin,
Roter Schein den Gadajine,
Feuerspeiern und Sturmdrachen,
Gelbes Leuchten sei Jah'takash,
Meisterin aller Überraschungen,
Grüner Schimmer gespendet Isayana,
Herrin über Same, Geburt und Kindheit,
Lila Gefunkel werde Geidranay,
dem Sanften Riesen, Hüter des Steins,
Mondhelles Licht um Tungjiis Glück,
Mann und Weib in einer Gestalt …
     
    Glück, dachte Aituatea. In den vergangenen sechs Monaten hat mich das Glück verlassen. Dummes, dummes, dummes Mädchen. (Diesen letzteren Gedanken wiederholte Aituatea immer wieder, und zwar mit einer gewissen Genugtuung.) Nie überlegt es, bevor es etwas tut. Geht am Tag nach der Jahreswende zum Tempel, obwohl es weiß, daß dort Temueng-Preßrotten umher schwärmen, um Hina-Mädchen aufzugreifen und sie für das neue Jahr zu Fronmaiden zu pressen. Hotea hätte vorher nachdenken sollen, erst einmal überlegen...
    Was ist geschehen? hatte er sie gefragt. Wo hast du die ganze Zeit gesteckt?
    Vielen Dank für deine Besorgnis, hatte sie geantwortet. Er hatte ihre Stimme im Kopf wie das Zirpen einer Grille vernommen, es ähnelte einem Jucken hinter den Ohren. Ich bin im Tempelhof gewesen, sagte sie, die Augen, wie Glas schimmernd, voller Vorwurf. Du warst ja sonstwo, Bruder, im Freudenhaus oder beim Spiel mit den wertlosen Faulenzern, die du deine Freunde nennst, und als ich in die Hauskasse schaute, war kein Geld mehr drin, Essen oder Tee konnte man nicht einmal mehr riechen. Was hätte ich nach deiner Meinung tun sollen — etwa hungern? Ich wußte doch, daß am Tag nach Jahreswende jeder Hina mit einer Münze zuviel und unverheirateten Töchtern Fäustevoll Räucherwerk verbrennt. Ich guckte mir einen Wollhändler aus, an dessen Gürtel eine dicke Börse baumelte, und schlich mich an ihn ran. Ich war so sehr damit beschäftigt, auf Fluchtwege zu achten und mich durch seine Töchterschar zu schieben, daß ich völlig vergaß, an Preßrotten zu denken. Wären nicht diese albernen Gänse gewesen, hätte ich die Kerls wahrscheinlich kommen hören und wäre abgeschwirrt. Aber ich habe sie nicht gehört, und wir sind allesamt geschnappt worden. Sie schleppen mich und die Töchter des Wollhändlers den Damm entlang, ich hoffe, daß man mich ins Haus eines kleinen mickrigen Havalars bringt, von wo ich mich leicht verdrücken und ein, zwei Sachen mitgehen lassen kann, um mich für den Ärger zu entschädigen, aber da sehe ich schon, wir nehmen den Weg hügelaufwärts, hinauf zum Tekora-Palast. Ich fluche dir, Bruder, und fasse den Vorsatz, dir die Haut, bin ich erst wieder daheim, in Streifen abzuziehen. An dieser Stelle des Erzählens war sie bereits erheblich ruhiger geworden, schwebte im Zimmer umher, berührte mit lebhaftem Streicheln ihrer nichtstofflichen Finger vertraute Gegenstände, als ob sie sich von ihnen Bestätigung verspräche. Einen Augenblick lang verweilte sie am Teekessel und lächelte, während sie den Teeduft genoß. Ich weiß, auch von dort kann ich leicht verschwinden, und ich weiß auch, daß der Tekora ein gemeiner Schurke ist, was Ausreißerinnen angeht. Von so etwas hast du keine Ahnung, was, Bruderherz? Die einzigen Frauen, die dich interessieren,

Weitere Kostenlose Bücher