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Brann 01 - Seelentrinkerin

Brann 01 - Seelentrinkerin

Titel: Brann 01 - Seelentrinkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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berühren Finger einen meiner Fußknöchel. Ich weiß sofort, es ist sie. Mit einem Tritt wehre ich ihren Griff ab, bevor sie mir wieder die Kräfte absaugen kann. Irgendwie kann ich vermeiden, daß ich abstürze, während ich mich zum Fenster hinauswinde, ich empfinde solche Furcht, daß ich mir ausschließlich über eins im klaren bin, nämlich daß ich schnellstens abhauen muß. Hinter mir höre ich Verwünschungen und das Schrammen von Metall, als das Gestell unter der Hexe zusammenbricht. Ich stehe im Fenster und schaue hinab auf die Wogen, die gegen die Felsen schlagen. Drunten bietet sich mir kein Ausweg. Ich blicke aufwärts. Die Dachsporne sind nah, aber nicht so nah, daß ich sie ohne weiteres ergreifen könnte. Ich vernehme hinter mir erneut Flüche und Geräusche, die Hexe schleift irgend etwas ans Fenster. Sie steigt mir nach. Ich wage alles und vollführe einen Sprung. Meine Hände umklammern einen Dachsporn, ich baumele an der Dachkante. Ich mache Anstalten, mich hinaufzuziehen. Finger umfassen meine Fußknöchel. Ich trete fester, immer fester, kann mich aber nicht befreien. Meine Hände rutschen ab. Darum bin ich nun hier. Und ich bleibe, bis die Kadda-Hexe tot ist, bis sie tot drunten bei mir im Wasser weilt, hörst du, Bruder, hast du mich verstanden?
    Aituatea schrak auf, als Hotea ihn in die linke Schulter kniff. »Schau da!« Ihr wie kristallener Arm mit den Umrissen aus Mondlicht wies auf das Phraser-Schiff.
    Auf dem schwarzen Rumpf des Schiffs leuchteten plötzlich Hornlaternen, es waren Dutzende, ihre Flächen aus dünnem Hörn verströmten roten und goldgelben Glanz, sie erhellten das Deck, die eiligen Bewegungen dunkler Gestalten, die sich darauf tummelten. Aituatea hörte Bruchstücke von Äußerungen, zu zerhackt, als daß er sie verstehen konnte, dann einen Stoß in eine Busine, als jemand sich über die Reling beugte, von den Woda-an eine Fähre anforderte. Der Bläser mußte das Signal mehrmals wiederholen, bevor das Dahingleiten einer rötlichen Hornlaterne anzeigte, daß sich von der Wassersiedlung ein Fährboot dem Blinden Schiff näherte.
    Eine schlanke Gestalt schwang sich auf eine Weise, die Tatkraft bezeugte, über die Reling, kletterte geschickt und mit Anmut das Tauwerk hinab. Aituatea schluckte den bitteren Geschmack seines Gaumens. Eine Frau. Allein anhand der Umrisse erkannte er sogar aus der Entfernung, daß es sich um ein Weib handelte. Die Seelentrinkerin. Gedämpft fluchte Aituatea. Die Zwänge des seit Jahrhunderten überlieferten Brauchtums, des Zorns und der Scham seiner Schwester, seiner eigenen beeinträchtigten Selbstachtung lasteten schwer auf ihm, trieben ihn zu einem Geschöpf, das ihm den Magen umzudrehen drohte. Er preßte sich eine Hand auf den Mund, unterdrückte einen Ausruf, als noch zwei — aber kleinere — Gestalten einen Augenblick lang auf dem Schanzkleid schwankten, anschließend der Frau hinunter ins Fährboot folgten, Kinder oder Zwerge oder ähnliches. Der Alte auf dem Berg hatte keine Begleiter erwähnt. Aituatea hob den Blick zu Hotea. Sie starrte, ein wenig vorgebeugt, in regelrechter Begehrlichkeit hinüber zu der Frau, die Hände zu Fäusten geballt, ihre Geistergestalt bebte aus schrecklicher Dringlichkeit. Bisher hatte er trotz ihres Scheltens, trotz aller grimmigen Vorwürfe der Feigheit und Schändlichkeit, so oft wiederholt, daß er aufs Zuhören längst verzichtete, keinen vollen Überblick über das Ausmaß ihrer Not gehabt; er wand sich aus Mißbehagen, wie er da auf den Fellen kauerte.
    Das Fährboot lief rasch auf den Kai zu, am Heck stand mit dem Ruder ein junges Woda-Mädchen; die Hornlaterne am Bug hinterließ auf schweißiger Haut in der Färbung bräunlichen Honigs kupfrige Glanzlichter. Ein um die Schläfen gebundener Streifen roten Tuchs hielt der Ruderin das kurze schwarze Haar aus dem Gesicht, sie schaukelte wie im Tanz, während sie die schwere Ruderstange handhabte, die Muskeln betätigten sich mit aller Geschmeidigkeit, der Blick war ausdruckslos, hatte etwas leicht Tierhaftes an sich, als lebe sie in diesen Augenblicken ganz in ihrer Körperlichkeit. Aituatea stierte sie an, die Zunge glitt ihm über die trockenen Lippen, das Entstehen von Spannung in den Lenden erinnerte ihn daran, wieviel Zeit verstrichen war, seit er das letzte Mal eine Frau gehabt hatte. Da kam eine stinkige Woda-Schlunze. Er biß die Zähne zusammen, beobachtete sie fortgesetzt. Abstoßend wie eine Kröte. Für seine Begriffe, die Anschauung

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