Brans Reise
den Befehl erhielten, die verwundeten Vandarer an den Mast zu binden, und Tarba, der so etwas schon einmal gemacht hatte, empfand das als einen großen Spaß.
»Die Vandarer sind ein merkwürdiges Volk«, sagte der Alte, als er gemeinsam mit Bran einen der blutenden Männer zum Mastfuß zerrte. »Sie mal hier.« Er drückte den Kopf des Vandarers zur Seite und fummelte an seinem Ohr herum. Ein goldener Ring steckte im Ohrläppchen des Mannes. Bran dachte, dass das vor langer Zeit geschehen sein musste, denn der Vandarer schien da keine Schmerzen zu haben. Doch er drückte sich die Hand auf den Bauch, wie schon die ganze Zeit, seit sie ihn an Deck aufgerichtet hatten. Bran wusste, dass er dort eine tiefe Wunde hatte, denn das Blut wollte nicht aufhören, sich zwischen seinen Fingern hindurchzupressen.
»Die Vandarer lieben es, ihre Körper zu schmücken.« Tarba nahm den Ring zwischen Daumen und Zeigefinger, drehte ihn herum und riss ihn mit einem Ruck los. Der Vandarer heulte auf und wälzte sich auf die Seite.
»Cernunnos würde es nicht gefallen, wenn wir das täten. Wir sollen stolz auf die Gestalt sein, die uns unsere Väter gegeben haben.« Der Alte steckte den Ring in seine Tasche und umrundete den Mast. Die anderen Vandarer lösten die Ringe aus ihren Ohren und gaben sie ihm.
»Auf Gold verstehe ich mich.« Tarba tätschelte zufrieden seine Tasche. »Diese Ringe sind viele Weinschläuche wert.«
Bran ließ die Männer die Taschen der Verwundeten durchwühlen und ging unter Deck. Er stolperte an Kengber und einem seiner Krieger vorbei. Sie saßen am Feuer, und Kengber nähte eine Wunde im bloßen Rücken des Mannes zu. Bran ging zu seinem Platz am Achterende des Schiffes, zog sein Panzerhemd aus und sank auf seiner Decke zusammen. Er hatte Blut an den Händen, das Blut der Männer, die er getötet hatte. Einst, vor langer Zeit, hätte ihm das wehgetan, und er hätte sich Sorgen um die Männer gemacht, die am Mast verbluteten. Aber das war in einer anderen Zeit gewesen, in einem anderen Leben. Damals hatte er einen anderen Gott angebetet. Jetzt war er einer der Krieger von Tirga. Jetzt herrschte Cernunnos.
Das Langschiff der Arer glitt in die Nacht. Sie trug die Stille in sich, die so oft nach einer Schlacht kommt, wenn die Krieger das Blut von ihren Händen gewaschen und ihre Wunden gezählt haben. Nur die ältesten Männer wie Tarba, für die der Krieg zur Gewohnheit geworden war, feierten den Sieg mit Wein und munteren Gesängen. Der Rest der Arer verrichtete seine Aufgaben als Wachen an Deck, Ruderer oder als Steuermann. Wer vor der Schlacht an der Reihe gewesen war, legte sich auf seinen Schlafplatz und zog sich Decken und Pelze über die Ohren. Die Zeit war gekommen, die Stümpfe und abgetrennten Gliedmaßen auszubrennen, und Schreie schnitten durch die Dunkelheit.
Mitten in der Nacht sahen die Wachen im Ausguck Land. Die weißen Hügel hatten sich in Wolken und Landnebel versteckt, doch jetzt zeigten sie sich in all ihrer Einsamkeit am Ende des Meeres. Das war Vandar, das Land, das sich von jeher Ars drei Völkern widersetzt hatte. Von hier aus waren Wellen von Sklavenhändlern und Seeräubern über das Meer geschwappt. Das war Krims Reich. Hier hatte sich der Gott der Krieger erhoben und seine Stämme für den Eroberungskrieg gesammelt, während die Arer noch ein Nomadenvolk auf den Ebenen waren. Die Erinnerung an diese Zeit war bei den Vandarern noch immer lebendig, denn sie waren eine stolze Rasse. Sie beteten Tarkin an, den, der die Lanze trägt. Ihm hatten sie versprochen, alle Länder zu unterwerfen. Bald war ein Lebensalter verstrichen, seit sie stark genug geworden waren, um auf Eroberungszug zu gehen.
Visikal stand am Bug, während die Langschiffe auf das Ufer zuschossen. Er wusste das alles und hatte die Schriftgelehrten oft über den Kampf der Riesen gegen Tarkin reden hören. Es war der Lanzenträger gewesen, der Cernunnos die tödliche Wunde zugefügt hatte. Der, der das Geweih trägt, würde erst dann zurückkommen, wenn Tarkins Volk unterworfen war.
Aber wie sollte ihm das jemals gelingen? Vandars Küste war lang, und die Städte verteilten sich bis hinunter nach Mansar im Südwesten. Er konnte eine Stadt einnehmen, wie diejenige, die sich dort im Nebel versteckte. Früher oder später aber würden die Vandarer eine mächtige Flotte zusammenziehen und sie angreifen. Und er konnte nicht mit allen vierzig arenischen Schiffen vor der gleichen Stadt festmachen.
Visikal wandte
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