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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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jubelten. Vare sprang zu Bran hinunter. Er fischte eine Hand voll Korn aus der Tiefe empor und kippte es sich in den Mund.
    »Es ist frisch.« Er kaute und nickte. »Das wird ein gutes Winterlager.«
     
    Die Skerge entschlossen sich, die verlassene Stadt als Lager für die Verwundeten zu nutzen. Drei der Langhäuser wurden leer geräumt und Pelze auf dem Boden ausgebreitet. Schnell hatten die Männer das Korn unter das Dach geschafft, und der trockene Tang glühte unter den Kesseln. Im Laufe des ersten Abends waren alle Verwundeten von den Langschiffen nach oben in die Wärme getragen worden. Sie jammerten nur wenig, denn das Wundfieber hatte die meisten in den Schlaf fallen lassen. So lagen sie da, mit den Armstümpfen in blutigen Lappen, die Schultern von Pfeilspitzen durchbohrt oder mit tiefen Schnitten im Oberschenkel. Draußen waren die Arer damit beschäftigt, die Wände der hintersten Langhäuser einzureißen. Der Kampf hatte Leben gekostet, und auch einige der Verwundeten würden nicht überleben. Die Toten wurden vor der Stadt aufgereiht, das Schwert auf der Brust und die Schilde über den Beinen. Dann grüßten die Tileder sie zum Abschied und beauftragten die Männer, sie unter den Steinen zu begraben.
    Brans Männer sangen in dieser Nacht am Feuer, denn sie alle waren in der Schlacht unverletzt geblieben. Es war bei den Arern nicht üblich, die Toten zu betrauern, denn sie wussten, dass Cernunnos ihren Mut gesehen hatte. Sie waren jetzt in seinem Heer und würden zurückkehren, wenn die Zeit kam.
    Wie auch die anderen Arer waren sie in ein Langhaus gegangen und hatten die Wachen auf den Langschiffen allein gelassen. Hier gab es Platz genug, die ledernen Hosen und Hemden zu trocknen, und Tarba streckte seine nackten Zehen den Flammen entgegen. Der Weinschlauch kreiste ums Feuer, und die Männer tranken auf den Sieg. Nur Nangor und Bran blieben stumm. Der Seeräuber schüttelte den Kopf und schlief in einer Ecke ein, und als Zwei Messer und Sturm eine weitere Strophe anstimmten, erhob sich Bran und ging nach draußen.
    Er schlenderte über die offenen Gassen zwischen den Häusern, blieb stehen und starrte in den Himmel. Der Vollmond hing kalt und fremd zwischen den Sternen. Ein ganzer Monat ist vergangen, dachte Bran und erinnerte sich an die zweite Nacht auf Visikals Langschiff, als er an Deck geklettert war, um Nosnavar am Steuerruder zu helfen. Die Wolken waren über den Himmel gerast, und dazwischen war immer wieder der Mond aufgeblitzt, rund und glänzend wie ein Silberschild.
    Bran schnupperte in den Wind. Der reine Geruch von Frost und Meerwasser wurde von dem Gestank gedämpft, der aus den Langhäusern sickerte, Blut, Auswurf und Tod. Die Steingräber auf der nackten Erde sahen jetzt wie eine Mauer aus, doch noch immer trugen die Männer Steine von den niedergerissenen Häusern herüber. Die toten Körper waren Schatten auf dem Schnee, ehe die Männer sie mit den Steinen bedeckten.
     
    Bran drehte ihnen den Rücken zu und ging rasch auf den Erdwall zu. Er hatte es sofort gesehen, als er vom Strand emporgekommen war. Diese Stadt ähnelte dem Lager, von dem aus er und sein Volk aufgebrochen waren.
    Die Langhäuser glitten an ihm vorbei. Er roch Menschen und Feuer und hörte Singen und Lachen. Doch mit einem Mal verstummten sie, und er kam in ein Haus ohne Stimmen. Noch immer brannte das Feuer zwischen den schwarzen Steinen in der Mitte des Raumes. Viele Männer lagen hier. An der Feuerstelle sank er zu Boden und vermochte erst jetzt zu sehen. Erst jetzt begriff er diesen unfassbaren Schmerz. Er hörte ihn in ihren Atemzügen, wenn sie gequält nach Luft schnappten. Er roch ihre Angst – wie der Gestank verfaulten Wassers trieb er zwischen den Verwundeten hindurch.

Nebel in Tirga
     
    T irgas Gassen waren von Eis bedeckt. Der Tang hing weiß und gefroren über den Balken unter den Hausdächern, und der Wind türmte den Schnee hinter den Häuserecken auf. Die nächtliche Kälte war von den Hochebenen heruntergekrochen und hatte ihre Finger in jede Gasse, ja in jeden noch so kleinen Winkel ausgestreckt. Sie war über das Meer gekrochen und lag dort wie ein Schleier aus Raunebel.
    Die Frau, die an den Häusern entlangging, trug einen Umhang und hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Sie ging auf der Ostseite des Hafens an den Anlegern entlang, und ihre Schritte hallten zwischen den Häusern wider. Manchmal drehte sie sich um und warf hastige Blicke in Richtung Stadt. Dann schlang sie den Umhang

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