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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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sackten, hatten die Scheite bereits Feuer gefangen.
    Tigam war erschöpft. Er hörte das an dem Pfeifen in ihrer Brust, wenn sie Luft holte. Mühsam langte sie nach den Leinensäcken und öffnete sie mit zitternden Fingern, ehe sie Inien ein Fleischstück und ein paar Fettkörner reichte. Dann lächelte sie ihn an, und Bran öffnete seine Hände. Auch er bekam Fettkörner, einen großen Klumpen Korn, der mit ausgelassenem fettem Speck gemischt war. Er hatte das noch nie gegessen, ehe sie es am ersten Abend aus dem Leinensack gefischt hatte, aber es war gut und gab ihm sowohl Kraft als auch Wärme. Er reichte den Frauen jeweils einen Pfeil, so dass sie ihr Trockenfleisch am Feuer wärmen konnten. Es ist erstaunlich, dachte er, wie schnell manches zur Gewohnheit werden kann.
     
    Es wurde ein Abend mit wenigen Worten und vielen Gedanken, jedenfalls für ihn. Als er aufstand, um mehr Holz aufs Feuer zu legen, setzten die zwei sich nebeneinander, um leise miteinander zu reden. Aber ihm war das recht. Er hing seinen eigenen Gedanken nach. Während die Frauen in ihren Tassen Schnee schmolzen und unter ihren Pelzen bibberten, hatte er den Rücken an den Felsen gelehnt und starrte nach Osten, wo die Ebene so seltsam leuchtend unter dem Dunkel lag.
    »Cernunnos…« Er legte seine Lippen um das Wort. Tarba hatte gesagt, das sei ein ungewöhnlicher Name für die Arer. Es war das einzige Wort, das die Riesen in der schwarzen Burg zurückgelassen hatten.
    Bran biss in den Fettklumpen und kaute langsam. Die Gedanken schwirrten wie honigtrunkene Hummeln in seinem Kopf. »Du bist stark geboren«, pflegte Vater zu sagen. »Und mit allem, was es für einen Jäger braucht. Lass es damit genug sein. Schwere Gedanken und Weisheit sind nichts für dich.«
    Bran aber konnte das Grübeln nicht lassen. Er hatte ihn dort im Schneesturm gesehen. Das Geweih, die Augen, das unmenschliche Gesicht. Er hatte den Rauch aus seinem Mund quellen sehen. Und er hatte die Worte gehört. Der Riese hatte ihn Vater genannt. Bran schloss die Augen und versuchte, die Gedanken in seinem Kopf einzusperren, denn sie waren wie Nebel, den er krampfhaft festzuhalten versuchte. Es war Cernunnos, den er gesehen hatte. Er war es, der gesprochen hatte. Du träumst meine Träume…
    »Träume«, murmelte Bran. Nicht einmal die Krallen, die über seinen Augen brannten, vermochten die Träume abzuhalten. Und vielleicht war das, was er gesehen hatte, ein Traum wegen Kälte und Hunger. Doch die Träume sind die Worte der Götter, das hatte Turvi selbst gesagt. Bran war klug genug, ihnen zu vertrauen.
    Er legte den Fettklumpen in seinen Schoß. Der Kurs auf das neue Land, der Frauenkörper in den Wellen… Das war Cernunnos, der so zu ihm sprach. Bran hatte selbst gesehen, wie Kragg sein Volk verlassen hatte. Cernunnos war jetzt sein Gott, und das Land am Ende der Träume war das Land von dem, der das Geweih trägt.
    Doch die Zweifel nagten noch immer wie glühende Kohlen in seinem Kopf. Es hatte immer andere gegeben, die er um Rat hatte fragen können. Turvi oder Hagdar, sie hatten immer eine Antwort für ihn gehabt. Was würden sie sagen, wenn er ihnen erzählte, dass er Cernunnos, den Gott der Arer, gesehen und ihn sprechen gehört hatte? Würden sie sagen, dass der Krieg ihn verrückt hatte werden lassen? Könnten sie ihm glauben? Durfte er selbst das glauben?
    Er zog das Fleisch vom Pfeil und kümmerte sich nicht darum, dass das dampfende Stückchen in seiner Hand brannte. Jedes Mal, wenn er daran zu denken versuchte, trat sie in seine Gedanken und fegte alles andere beiseite. Er sah sie an einem Feuer, und sie sprach über den Kessel zu ihm. Sie fragte ihn, wie die Jagd gewesen sei und wo er den Hirsch geschossen habe. »Der hat ein gutes Fell«, sagte sie. »Er wird uns im Winter wärmen.« Ihr Gesicht war golden, und die Decke vor der Türöffnung war beiseite geschlagen. Die Sonne schien auf ihre Handgelenke und auf ihren Hals. Dann beugte sie sich über das Kind, das an ihrer Seite lag, und hob es an die Brust. Der Säugling hatte seine Augen. Und er erinnerte sich an die Nacht in Cernunnos’ Turm. Noch immer spürte er ihre Haut unter seinen Fingern und ihren Atem an seinem Hals. Tir hatte an diesem Abend zu Cernunnos gebetet. Sie hatte seine Stimme gehört. Und ehe sie eingetreten waren, hatte sie von der Weissagung gesprochen. »Der Tag wird kommen…«, sie hatte die Augen geschlossen und gelächelt, »an dem er wiedergeboren wird, wie es verheißen

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