Brans Reise
Ehre und Häuptling des Volkes aus dem Norden, mich bei meinem richtigen Namen zu nennen.«
Bran schluckte. Niemals hatte er gehört, dass jemand etwas anderes als Visikal zu ihm gesagt hätte. Oder wollte er Skerg genannt werden?
Turvi schlug mit seiner Krücke auf die Steinplatten und konnte zwischen den Tirganern nicht mehr stillstehen. »Er will, dass du…« Der Einbeinige senkte die Stimme und beugte sich über seine Krücke vor. »Das ist ein Volk aus dem Süden mit den Bräuchen des Südens. Du musst seine Familie ehren und ihn Vater nennen!«
Da verstand Bran. Er zeigte Visikal seine offene Schwerthand. »Ich bin Bran.« Er sprach laut, so dass ihn die Menschen im ganzen Hafen hörten. »Und du bist mein Vater.«
Visikal schnippte mit den Fingern, und der hinterste Krieger sprang mit einem Horn in den Händen vor. Er gab es dem Skerg, der es Bran überreichte.
»Du bist jetzt mein Sohn. Wenn du in dieses Horn bläst, wirst du den Namen unserer Familie hören.« Der Skerg ließ seinen Blick über die Menschen schweifen. Sie waren noch immer still, und die Erwartung stand in ihren weit geöffneten Augen. Dann trat Visikal zur Seite, und die Tirganer rissen ihre Arme in die Höhe und jubelten.
Sie stand zwischen den Kriegern. Ihr Körper war unter einem Leinenkleid und einem dicken, weißen Wollumhang verborgen. Über dem Kopf hatte sie eine Kapuze, und alles, was er von ihr sehen konnte, waren die Haare, die über ihre Brust herabhingen.
»Geh zu ihr!«, flüsterte Turvi. »Nimm ihr die Kapuze ab, damit du siehst, ob sie es wirklich ist.«
Bran ging die drei Schritte zu ihr vor. Der Jubel verstummte, als er seine Hände an ihre Kapuze legte und sie nach hinten schob. Es war Tir. Sie schlug die Augen auf und sah ihn an. Tränen rannen über ihre Wangen. Er streichelte sie mit seinen Fingern. Ihre Haut war so, wie er sie in Erinnerung gehabt hatte, weich und glatt wie Hirschleder.
»Tir…« Er legte seine Arme auf ihre Schultern und zog sie vorsichtig an seine Brust. »Meine…« Er flüsterte die Worte in ihr Ohr. »Meine Frau.«
Da begannen die Flöten zu spielen, und die Tirganer drängten sich um sie. Vare und Ylmer führten die Menschen zu der Feuerstelle, an der das Felsenvolk saß und auf seinen Fellen zur Seite rückte und ihnen Platz machte. Visikals Krieger mischten sich unter die anderen Tirganer, nur der Alte stand noch da. Er trug die eisenbeschlagene Kiste hinunter zu Brans Zelt. In ihr waren Tirs Kleider und das Schwert ihres toten Vaters.
Bran und Tir erhielten einen Platz zwischen Dielan und Hagdar. Dort setzten sie sich auf ein Bärenfell, und die Flötenspieler stellten sich an die Feuerstelle und spielten zu Ehren des jungen Paares. Visikal selbst gab Bran eine gegrillte Hirschkeule, und Vare reichte ihm einen Bronzekrug in der Größe eines Männerschädels. Es war Brauch bei den Tirganern, Mann und Frau reich zu beschenken. Ylmer legte ein Schild aus gehämmertem Eisen vor Brans Füße, und Frauen, die Bran nie zuvor gesehen hatte, gaben Tir gefärbtes Leintuch, Säckchen mit duftenden Kräutern und Schmuckstücke, in denen edle Steine wie die Sterne glitzerten. Als letzter Tirganer trat Tarba mit einem Geschenk vor sie. Er rollte eine Tonne zur Feuerstelle, und Nangor half ihm, sie aufzurichten. Sturm, Zwei Messer und Virga stellten sich neben ihn, und Virga zog die Axt unter dem Gürtel hervor.
»Das sind die Geschenke deiner Krieger«, sagte Nangor. »Wir haben noch nicht auf den Frieden der Seelen unserer toten Freunde getrunken und auch noch nicht auf das Glück von euch, Bran und Tir. Deshalb bitten wir dich, den Deckel des Fasses einzuschlagen und mit uns zu trinken.«
Virga reichte ihm die Axt. Bran stand auf und ergriff sie. Dann schlug er den Deckel ein und füllte den Bronzekrug. Tarba und die anderen taten es ihm gleich, und dann hoben alle ihre Krüge und tranken. Bran glaubte, der Wein würde nie aufhören, und musste sich an das Fass stützen, als sein Mund überlief. Die Menschen brüllten und lachten.
»Das war gut«, sagte Tarba und füllte seinen Becher aufs Neue.
Bran wischte sich das Kinn ab und taumelte zu seinem Platz zurück. Dort blieb er sitzen, denn der ganze Hafen schien sich wie die Wellen zu bewegen. Er nahm Tirs Hand. Sie lächelte, als er sie ansah, und er drückte sie an sich und streichelte ihren Rücken. Lange saß er so da. Er vergrub sein Gesicht an ihrem Hals und atmete auf ihre warme Haut, der ein süßer Duft von Honig und Öl
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