Brans Reise
all die Kinder um sich versammelt hatte. Er selbst, Bran, war eines von ihnen gewesen, und hatte wie verzaubert den Worten des Vogelmannes gelauscht. »Sie können nicht lügen… Feinde von Krettern und Tuurern… Gute Seeleute…« Bran sah sie an. »Stimmt das?«
Sie gab ihm keine Antwort. Aber war da nicht ein Lächeln in ihrem Gesicht zu erkennen?
Bran sah über die Wellen. Er war es nicht gewohnt, mit Frauen zu sprechen. Das eine Mal, als Hagdar ihn zu den jungen Witwen geführt hatte, hatte er gestammelt und um Worte gerungen. Er hatte Angst gehabt, etwas Falsches zu sagen, denn die Frauen waren so anders als er. Dann hatte er dem Wasser gelauscht, das an die Bootsrümpfe platschte, und Turvi, der beim Singen seinen Beinstumpf über den Bootsrand gelegt hatte.
»Du tötest«, sagte sie plötzlich. »Du hast König Sar getötet. Wirst du auch mich töten?«
Brans Magen zog sich zusammen. Die Krallen schlugen über seinen Augen zu.
»Dich töten?« Er sah sie an. Sie schaute aus ihrer zusammengekauerten Haltung auf. »Warum sollte ich dich töten?«
Sie gab ihm keine Antwort, sah ihn nur einfach weiter an, als wolle sie die Antwort in seinen Augen lesen.
»Ich habe den Inselkönig getötet.« Bran glaubte das Gesicht des Inselkönigs blass und aufgedunsen tief unten im Wasser zu sehen. »Aber ich werde niemals wie er sein. Hätte ich ihn verschonen sollen?«
»Nein.« Die Antwort kam rasch. Sie sah fort und fuhr sich mit der Hand über die Augen.
»Ich bin Bran.« Er streckte ihr seine flache Hand entgegen, das Zeichen der Freundschaft. »Ich bin der Häuptling dieser Männer. Turvi, dort vorne…«, er deutete auf das Boot ganz im Westen, an dessen Steuer der Einbeinige saß, »… sagt, Berav, der König des Meeres, habe mich auserwählt.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Ich habe gehört, was du in Sars Saal gesagt hast.«
Bran schnitt mit seiner Hand durch das Wasser, während sie in ein Wellental hinabglitten. Es war nicht so schwer mit ihr zu reden, wie er geglaubt hatte. Er nahm all seinen Mut zusammen und räusperte sich. »Dann weißt du viel«, sagte er lächelnd. »Über mich und mein Volk. Was wirst du mir über dich erzählen?«
»Ich heiße Tir«, sagte sie und zog den Umhang fester um sich.
»Tir…« Brans Blick glitt über das Meer. Im Westen zogen dicke Wolken auf. Der Wind war im Begriff, aufzufrischen.
Der Zweikampf
M it dem Wind kam der Regen. Die sanfte Dünung verwandelte sich in schroffe Wellen, gekrönt von weißen Spitzen, die Wasser über die Boote schleuderten. Bran stemmte seine Füße gegen den Querbalken am Boden des Bootes und presste seinen Rücken gegen den Achtersteven: Jedes Mal, wenn das Boot auf die Spitze einer Welle angehoben wurde, spürte er, wie der Wind an ihm zerrte, um ihn über Bord zu werfen. Bis jetzt hatte er das Meer als Schwester von Erde und Bergen angesehen, etwas, das Pflanzen und Fische beherbergte und Leben spendete. Doch jetzt begriff er, dass das Meer selbst ein lebendes Wesen war. Es wand sich, zitterte und brüllte, als versuche es, die Boote von seinem Rücken abzuwerfen. Und der Wind wühlte es auf. Ja, wie die Berge männlich waren, war das Meer weiblich. Denn auch jetzt noch, da sie vor Wut fauchten, konnte er die Weichheit der Wellen spüren. Deshalb war er nicht so ängstlich wie die Männer in den anderen Booten. Er sah, wie sie sich an die Seile klammerten, sich erbrachen und mit angsterfüllten Blicken nach Süden starrten. Dielan und Gwen lagen noch immer unter dem Segeltuch und rollten im Gleichklang mit den Wellen hin und her. Dielan hatte Konvai in seine Arme genommen, und Bran wunderte sich, dass der kleine Junge nicht schrie. Ein gutes Zeichen, dachte er. Das Kind hatte mehr Mut als die Erwachsenen, und man sagte schließlich, Mut wüchse mit den Jahren.
Tir saß am Boden des Bootes und hatte ihren Rücken gegen die Mittelbank gedrückt. Sie hatte den Umhang eng um sich geschlungen, zitterte aber, während das Wasser an ihr herabrann. Bran hielt sich den gebeugten Arm vors Gesicht, als eine Welle über das Dollbord schlug. Das Wasser platschte auf den Boden des Bootes. Dielan und Gwen zogen ihre Beine an und kauerten sich auf dem letzten noch trockenen Fleckchen auf den Fellen zusammen. Auch wenn er bei dem Regen den Mond nicht sehen konnte, spürte er doch, dass es bald an der Zeit war, dass Dielan die Ruderwache übernahm. Er bereute es, seine Jacke nicht angezogen, ja nicht einmal ein Fell um seine Schultern
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