Brans Reise
doch der dicke Mann klammerte sich mit seinen Fingern fest. Bran zögerte, doch Dielan sah ihn an und nickte langsam. Da zog Bran das Messer aus seiner Scheide und schlug mit dessen Schaft auf die dünnen Fingerkuppen. Der Inselkönig ließ, nach Luft schnappend, los und versank im schwarzen Wasser.
Als er wieder auftauchte, war das Boot bereits fortgeglitten. Er strampelte und schluckte Wasser, versuchte aber nicht zu schreien oder um Gnade zu bitten. Bran setzte sich zu Dielan. Der Zweimaster war viel zu weit weg, um den ertrinkenden Mann zu retten. Während das Boot durch die Wellen davonsegelte, behielt Bran den Mann im Auge. Der Inselkönig versuchte zuerst, zur Insel zurückzuschwimmen, gab das aber etwa nach der Strecke eines Pfeilschusses auf. Eine Weile winkte er dem Schiff zu, doch dann tauchte er unter. Er war jetzt weit entfernt, und Bran sah ihn kaum mehr, als er sich wieder an die Oberfläche kämpfte. Noch zweimal verschwand der Kopf des Inselkönigs unter Wasser, ehe er für immer verschwunden blieb. Da sah Bran zu der Sklavin hinüber. Sie erwiderte seinen Blick, doch ihre Augen verrieten nicht, ob sie Ekel oder Dankbarkeit empfand.
»Es ist jetzt vorbei«, sagte Bran. Er erwartete keine Antwort, doch als er sich ans Ruder setzte, wich sie ihm aus und setzte sich auf die Mittelbank. Bran ließ sie gewähren. Er legte die Hand ans Ruder, maß die Entfernung zu dem Zweimaster und steuerte nach Süden.
Der Wind erstarb mit der Sonne. Im Osten erröteten die Wolken und die Wellen verloren an Höhe. Der Zweimaster war schwerer und größer als die Boote des Felsenvolkes, und der Abstand zu ihm vergrößerte sich. Bran hoffte, dass der Wind lange genug abflaute, damit sie außer Sichtweite des Schiffes gelangten. Er redete sich selbst ein, erst dann wieder an die Verfolger zu denken, wenn es auffrischte.
Das Felsenvolk sah jetzt kein Land mehr, und während des Sonnenuntergangs sah es so aus, als segelten sie über ein riesiges, goldenes Schild. Während der Fahrt zu den Inseln hatten es sich Bran und Dielan angewöhnt, abwechselnd Wache zu halten. Bran übernahm die Schicht von Sonnenuntergang bis zu dem Moment, in dem auch der Mond zu sinken begann. Dielan legte sich zu Gwen und schlief bei ihr. Bran straffte die Taue, mit denen die Schoten am Boot befestigt waren, und lehnte sich an den Achtersteven. Mit halb geschlossenen Lidern beobachtete er, wie die Sklavin nach Süden über das Meer schaute. Jetzt erkannte er auch die dünnen Streifen um ihre Augen herum, haarfeine Falten, wie sie nur lange Sonnentage hervorbringen konnten. In ihrem Gesicht lag jetzt weder Furcht noch Wut. Sie sah mit diesem ruhigen, fast verträumten Blick, den er auch von Hagdar und anderen Männern kannte, die die See gewohnt waren, über das Meer. Du siehst nach Süden, dachte er. Liegt dort deine Heimat? Er erinnerte sich an alles, was er vom Vogelmann über die Länder im Süden erfahren hatte. Die Sieben Reiche… Vandar… Ar… Mit ihren hellen Haaren sah sie wie eine Frau der Arer aus. Wenn sie wirklich aus diesem sagenumwobenen Reich im Süden stammte, hatte sie alles verstanden, was er gesagt hatte. Die Arer sprachen dieselbe Sprache wie er selbst, die Sprache der Händler, die alle Völker am Meer als ihre Muttersprache angenommen hatten.
Bran sah sich um, als das Boot von einer Welle angehoben wurde. Das Schiff im Osten war noch kleiner geworden. Der Rumpf war vom Meer verborgen, nur noch die Segel waren zu erkennen. Als er sich wieder an den Achtersteven lehnte, sah er, dass sie erneut mit gesenktem Kopf dasaß.
»Sieh mich an«, sagte er. »Du bist hier keine Sklavin.«
Sie legte ihre Hände in den Schoß und wandte sich ab.
»Keine Sklavin. Das ist vorbei.« Er flüsterte, denn er wollte nicht, dass Dielan und Gwen ihn hörten. »Du bist frei.« Er legte seine Hand auf ihr Knie, das sie rasch zurückzog.
»Nein!« Sie rutschte ganz zum Rand der Bank hinüber. »Tu das nicht!«
Bran zog seine Hand zurück.
»Du sprichst in der Sprache der Händler. Stammst du aus Ar?«
Sie nickte.
Bran lächelte. »Du siehst so aus! Das habe ich gleich erkannt.«
Sie sagte nichts dazu, hob aber den Kopf und sah ihn an. Vielleicht habe ich ihren Stolz geweckt, dachte er. Nach allem, was er vom Vogelmann wusste, waren die Arer ein kämpferisches Volk, das verlangte, mit Respekt behandelt zu werden.
»Die Arer sind gerecht.« Er sah den gefiederten Mann vor sich, wie er vor der Feuerstelle in der Steinhütte saß und
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