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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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während sie erzählte. Ihre Lippen legten sich vollkommen um die Worte.
    »Sie töteten meinen Vater, als er mit den anderen Männern hinaussegelte, um zu kämpfen. Ich habe mich im Wald versteckt, als sie kamen, und habe gesehen, was sie taten. Danach steckten sie unser Dorf und die Bäume in Brand. Aber ich bin in einem Fischerboot geflohen. Sie haben mich nicht gefunden.«
    Dann schwieg sie wieder.
    »Ich bin froh darüber«, sagte Bran. »Ich bin froh, dass du hier bist.«
    Sie rückte von ihm weg. Das gefiel ihm nicht. Seine Wunden schmerzten dann noch mehr. Er hob den gesunden Arm über seine Brust und versuchte sie festzuhalten, aber die Stiche in seinem Rücken brannten.
    »Nein…« Bran würgte die Übelkeit hinunter. »Verlass mich nicht.«
    Sie legte ihre Hand auf seine Stirn. Er schloss die Augen. Ihre Finger waren schmal und weich. Sie strichen durch sein Haar und vertrieben den Schmerz.
    »Ich bin geschwommen«, flüsterte er. »Und ich habe ein neues Land gesehen. Mit dem schwarzen Strand…«
    Bran fühlte, dass seine Augen feucht wurden. Seine Brust zog sich zusammen. »Eine Frau… in den Wellen…«
    Eine Hand berührte seinen Mund.
    »Schlaf jetzt«, sagte sie. »Ich werde dich wecken.«
     
    Bran gab kein weiteres Lebenszeichen mehr, und Tir verschwieg, dass er bei Besinnung gewesen war und mit ihr gesprochen hatte. Dielan trauerte darüber, denn nicht einmal er vermochte mehr daran zu glauben, dass sein Bruder überleben würde. Die Wunden schlossen sich nicht, und der Schweiß roch bitter nach Gift. Aber Dielan weinte nicht, wie er es früher getan hätte, denn er wusste, dass das Felsenvolk ihn jetzt brauchte.
    »Dielan«, sagte Turvi eines Abends, als sie nebeneinander her segelten. »Du weißt, wer Häuptling wird, wenn Bran stirbt?«
    Dielan sah zu Hagdar zurück, der am Ruder des Bootes hinter ihm saß.
    »Nein.« Turvi zog das Segel straffer und steuerte das Boot herüber. »Berav hat Bran auserwählt, und deshalb müssen wir seinem Geschlecht folgen. Du wirst Häuptling, Dielan.«
    »Aber… ich kann nicht…«
    »Du kannst«, sagte Turvi. »Und du hast einen Sohn. Das ist gut für einen Häuptling und sein Volk.«
    Nach diesen Worten hatte Turvi sein Boot wieder fortgelenkt und ihn mit seinen Gedanken allein gelassen. Gwen hatte ihn angesehen. Und er hätte so gern mit ihr gesprochen, doch sie hatte sich abgewandt und aufs Meer hinausgesehen. Dielan wusste, dass das etwas war, das sie nicht mochte. Denn Gwen stammte aus Kajmen an der Ostküste und hatte nie verstanden, warum ein Häuptling so wichtig war. Wo sie herkam, bestimmte der Reichtum. Das Gold gab den Männern an der Ostküste Macht, und er wusste, dass es die reichen Männer gewesen waren, die ihre Familie in die Armut getrieben hatten. Doch er hatte sie in die Felsenburg mitgenommen, und oft hatte sie ihm gesagt, dass sie glücklich war.
    Dielan legte seine Hand auf das Dollbord und zog die Augenbrauen zusammen, denn die Sonne war jetzt, da sie begann im Westen unterzugehen, sehr hell. Er sah ihre nackten Füße unter dem Segeltuch. Sie sprach leise mit Konvai. Der Kleine war gleich nach Kraggs Warnung geboren worden, und er wusste, dass sie sich zu dem Leben in der Felsenburg zurücksehnte. Des Nachts, wenn sie dicht beieinander unter den Decken lagen, flüsterte sie oft, dass sie sich nach Sicherheit für sich und das Kind sehne. Er verstand, was sie meinte. Hinter den Klippen der Felsenburg hatten sie alles, was sie brauchten, denn die Schafherden waren fruchtbar und die Lanzenberge voller Wild. Und an den Abenden versammelten sie sich bei Turvi oder beim Vogelmann und lauschten den Geschichten und Liedern.
    Er schloss die Augen und träumte sich zurück.
    »Lass Dielan die alten Weisen erzählen«, sagte der Vogelmann und streckte den Federarm in seine Richtung aus. »Febals Jüngster kann sich so gut erinnern, und die Wort kommen leicht über seine Lippen.«
    Und er, Dielan, stand vor der Feuerstelle auf und erzählte die Geschichten über Götter, Geister und Ahnen, denn er erinnerte sich besser daran als alle anderen jungen Männer.
    »Dein Bruder ist stark, und mit der Zeit wird er unser bester Jäger werden. Aber du hast die Gabe der Erzähler in dir.«
    Das waren die Worte des Vogelmannes gewesen. Dielan hatte sie nie vergessen. Denn er war kein geborener Jäger wie Bran. Er war kleiner als die meisten, und als er noch ein Junge war, wurde er beim Ringkampf immer von Velar besiegt, obgleich dieser einen Winter

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