Brans Reise
die Wunden gewaschen und gespürt, wie das Fieber auf Brans Stirn brannte. Gwen hatte gesagt, dass er sich darauf vorbereiten sollte.
»Er spürt es nicht«, sagte er. »Wenn ich ihn umdrehe, um die Wunde im Rücken zu versorgen, fühlt er sich wie ein toter Mann an.«
»Aber ich kann hören, dass er atmet.« Turvi schob sich die Haare hinter die Ohren. »Also lebt er noch.«
Dielan sah zu Gwen hinüber. Der kleine Konvai lag an ihrer Brust.
»Erinnerst du dich an die Waldgeister?« Turvi fuhr sich mit den Fingern durch den Bart. »Nein, das kannst du wohl nicht. Du warst damals noch ein Säugling. Aber Bran erinnert sich an sie. Er war damals drei Winter alt.«
»Ich habe davon gehört«, sagte Dielan. »Sie haben mit dem Vogelmann in der Schlacht gegen die Kretter gekämpft.«
»Ja, es gab viele Schlachten.« Turvi blickte auf seinen Beinstumpf hinab. »Doch bei der letzten habe ich nicht mitgekämpft. Da lag ich wie Bran jetzt vom Wundfieber geschüttelt auf dem Lager. Niemals werde ich den Tag vergessen, an dem die Vokker mein Bein zerschmettert haben, Dielan. So grausam…«
Das Gesicht des alten Mannes verzog sich beim Gedanken an den unvorstellbaren Schmerz.
»Du bist wie dein Bruder«, murmelte er. »Du redest nicht viel. Aber wenige Worte sind manchmal besser als viele. Die Waldgeister waren genauso. Sie waren nicht gerade freigebig mit Worten. Nein, sie hatten ihre Schrullen, die Waldgeister. Und manchmal ist es so, als ob ich fühlen könnte, dass sie eines Tages zu unserem Volk zurückkommen werden, und dann schließe ich die Augen und sehe sie vor mir. Aber ich bin kein Träumer, kein Seher. Ich bin nur ein alter Mann, der diejenigen vermisst, die er einmal gekannt hat.«
»Erzähl mir von den Waldgeistern.« Dielan hatte schon viele Male von den Waldgeistern gehört. Doch er hörte den klagenden Ton in Turvis Stimme und wusste, dass ihm der Alte gerne von seiner Jugend erzählen wollte.
»Sie waren klug und mutig«, murmelte der Alte. »Du hättest sehen sollen, wie sie gegen die Vokker gekämpft haben, Dielan! Klein waren sie, von ihren bärtigen Köpfen bis hinab zu ihren Zehen hatten sie kaum die Länge eines Männerbeines. Doch mit dem Speer in der Hand waren sie mächtige Krieger. Bile, Vile, Bul und Loke, ich kann sie alle vor mir sehen! Loke mit seinem geflochtenen Schnurrbart und Bile mit der Zapfenkette um den Hals. Als ich sie das erste Mal sah, fand ich, dass sie aussahen wie kleine, mit Moos bekleidete Männer. Weißt du, ich war mit Noj draußen auf der Ebene, um nach Kirgit zu suchen. Und wir fanden sie im Hügelland der Vokker, gemeinsam mit Karain und den Waldgeistern.«
»Sie war damals schon die Frau des Vogelmannes«, sagte Dielan und nickte.
»Ja, Karain, den wir so oft Vogelmann nennen, rettete sie und die Waldgeister vom Scheiterhaufen in Krett. Und Kirgit führte sie über die Ebene, bis Noj und ich sie fanden. Ich weiß noch, wie ich mich gefragt habe, was die Waldgeister für Geschöpfe sein mochten. Sie trugen wollene Umhänge und blaue Jacken und hatten Stiefel aus Rinde und Gürtel aus gespließter Wacholderwurzel. Ihre Bärte waren störrisch wie Bocksbärte, und die Speere, die sie mit sich führten, waren dreimal so lang wie sie selbst. Ich erinnere mich an Loke, den Trolljäger, den ältesten von ihnen, denn ich habe ihm ins Gesicht geschaut, als er mein zerschmettertes Bein freischnitt. Ich weiß noch, wie seine Augen in dem faltigen Gesicht brannten.«
Turvi schaute zum Himmel und schlug den Lederumhang enger um seinen Hals. »Die Waldgeister kämpften in der großen Schlacht gegen die Vokker und gegen die Kretter. Sie kletterten mit dem Vogelmann in die Berge und retteten uns vor dem ewigen Winter. Und als alles vorüber war, nahmen sie Abschied von uns und wanderten über die Ebene nach Norden davon. Sie waren mächtige Krieger, Dielan. Sie würden uns jetzt helfen. Und Karain, der Vogelmann, hätte einen Rat für uns.«
Turvi schnaubte und legte seinen Beinstumpf über sein anderes Bein. »Aber ich wollte heute Nacht nicht diese alten Geschichten erzählen. Ich habe die Waldgeister erwähnt, um dich an etwas zu erinnern, was sie gesagt haben! Verlier nie den Mut, sagten sie. Das ist das Wichtigste. Wir brauchen jetzt noch fünf Tage bis zum Festland. Und die Arer werden Bran bestimmt gesund pflegen können!«
Dielan spähte nach vorn über den Bug.
»Fünf Tage«, sagte er. »Das ist lang. Bran wird jeden Tag schwächer. Wenn er in fünf Tagen nicht
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