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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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jünger war als er. Und Bran musste kommen und seinem kleinen Bruder helfen. So war es immer gewesen. Bran war der starke. Er, Dielan, der schwache. Vielleicht war es Vater, der sie so hatte werden lassen. Bran musste immer die Prügel einstecken, wenn Vater wütend war. Dielan erinnerte sich an die unzähligen Ohrfeigen, die Bran bekommen hatte. Doch er war niemals zu Boden gestürzt. Er stand einfach da, als kümmerten ihn die Schläge überhaupt nicht. Dielan selbst wurde nicht ein einziges Mal geschlagen. Mutter ließ das nicht zu. Warum sie ihn schützte, nicht aber Bran, erfuhr er nie. Aber er wusste, dass sein Bruder durch die Schläge abgehärtet war. Und das war gut so, denn das Felsenvolk brauchte einen solchen Häuptling. Noj war stark und voller Bestimmtheit gewesen, und so war auch Bran.
    Dielan schluckte das üble Gefühl im Hals hinunter. Seit Gwen gekommen war, hatte ihm sein Bruder immer bei der Jagd geholfen. Dielan fühlte sich sicher, wenn sie zu zweit die Familie schützten. Bran war in all seinem Tun immer so sicher, und Dielan wusste, dass er seinen Bruder an seiner Seite brauchte. Und war es nicht immer so gewesen? Immer hatten er und Bran gemeinsam gejagt und gekämpft. Wie sollte er ohne ihn zurechtkommen?
    Er fasste sich an die Augen. Schon wenn er daran dachte, spürte er diesen Schmerz in seiner Brust. Er hatte Angst, allein zu sein, und vor der Bürde, die Turvi ihm auferlegen wollte, wenn Bran starb.
    Da spürte er, dass sich die Wellen beruhigten. Das Boot glitt in etwas hinein, das wie das Hinterwasser einer Strömung aussah, wo das Wasser flach und still war. Er stand auf und stützte sich auf den Achtersteven. Das ruhige Wasser breitete sich, soweit er sehen konnte, an beiden Seiten des Bootes aus und reichte vor dem Bug bis zum Horizont im Süden.
    »Gwen«, sagte er. »Nangor. Tir. Da geschieht etwas mit dem Meer.«
    Nangor sah über den Bug. »Bei Manannan!« Er kratzte sich am Kopf, strich den Bart über seine Brust und fuhr mit der Hand durch das Wasser. »Die Gerüchte sind wahr!«
    Gwen und Tir krochen aus dem Schutz des Segeltuches hervor. Es überraschte Dielan, dass sich Tir nicht wie sonst auf die Mittelbank setzte und ihren Blick über das Meer schweifen ließ. Doch jetzt kletterte sie auf die Bank, hielt sich am Mast fest und spähte über die Wasseroberfläche.
    »Die versunkene Insel! Das Land, das Manannan verschluckte!« Ehrfurcht klang in Nangors Stimme mit. »Seht doch!« Er kroch zu Dielan zurück und deutete ins Wasser hinunter.
    Und da sah Dielan die Steine dicht unter dem Boot. Er erkannte die verkohlten Baumwurzeln und den Sand.
    »Da«, rief Nangor, »ein Mensch!«
    Dielan blickt zu dem von Tang überwucherten Schädel hinunter. Die Augenhöhlen starrten leer zur Oberfläche.
    »Fa Ton, die versunkene Insel…« Nangor fasste sich an den Mund. »Dann stimmt es also… Arme Menschen…« Er sank auf der Ruderbank zusammen, schüttelte das leere Weinfässchen und rieb sich die Augenwinkel.
    »Hier ist es ganz flach!«, sagte Hagdar, als er neben ihnen aufschloss.
    Aber Dielan antwortete nicht, denn in diesem Moment kletterte Tir auf die Reling und sprang über Bord. Gwen versuchte sie zurückzuhalten, doch es gelang ihr nicht.
    Dielan sah, wie sie über den Meeresboden glitt. Sie schwamm mit langen Armzügen wie jemand, der sein Leben im Meer verbracht hatte.
    »Spring ihr nach!« Hagdar wedelte mit den Armen.
    Dielan starrte wie verzaubert auf das Geschöpf, das sich am Boden entlang schlängelte. Sie sah aus wie ein Fisch, wie sie mit den Beinen schlug und ihren Körper mit kräftigen Armbewegungen durchs Wasser schob.
    »Sie verschwindet!« Hagdar schob die Ruder aus und folgte ihr.
    Aber Tir verschwand nicht. Sie war keine Meerjungfrau, nicht die Fischfrau aus den Erzählungen des Vogelmannes. Denn einen knappen Steinwurf vor den Booten tauchte sie wieder auf. Sie richtete sich auf und watete, das Wasser bis zu den Hüften, weiter.
    »Folge ihr.« Nangor stand im Bug auf. »Ich beginne zu verstehen.«
    Dielan packte das Ruder und steuerte das Boot hinter ihr her.
    »Das ist die nördlichste Insel von Ar, Fa Ton«, sagte Nangor und beobachtete dabei die Baumwurzeln und Steine knapp eine Armlänge unter dem Bootskiel. »Vor einem Jahr wurde sie von den Vandaren verwüstet. Sie legten im Wald Feuer, und als alles niedergebrannt war, verschluckte das Meer die ganze Insel.«
    »Die Insel ist gesunken?«, wunderte sich Dielan.
    »Das Meer hat die Erde

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