Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
Vom Netzwerk:
könnten einstürzen und sie unter sich begraben.
    »Schon wieder Treppen«, stöhnte Turvi. Bran fasste Turvi fest um den Rücken und half dem alten Mann die Stufen hinauf. Sie kamen an einem Ring ausgehöhlter Knochen vorbei, die an Schnüren von einem Dach herabhingen und im Wind sangen; dann bogen sie nach rechts ab und stiegen weiter empor. Ein schwarzer Turm markierte das Ende der Häuserreihe. Die Treppe führte daran vorbei und verschwand zwischen einigen Bäumen.
    »Lass uns dort hinaufgehen.« Turvi keuchte und schnitt Grimassen. »Da… oben… können wir sitzen!«
    Bald darauf erreichten sie den schwarzen Turm. Hier bog ein weiterer Weg ab, doch Turvis Interesse, die Stadt zu erkunden, war erloschen.
    »Nur noch ein paar Schritte!« Er stützte sich auf seine Krücke, und Bran spürte, wie es in seinen Wunden brannte, als der alte Mann seine Schulter noch fester umklammerte und sein Bein nach vorne schwang.
    Endlich konnten sie sich am Ende der Treppe hinsetzen und Turvi holte die Pergamente und die Schafsblase mit dem Kohlenwasser aus seinem Umhang hervor. Er suchte den Knochenstift heraus, hielt die Luft an, tauchte ihn ins Kohlenwasser und begann zu murmeln.
    Bran widmete seine Aufmerksamkeit der Aussicht, denn er wusste, dass Turvi lange so dasitzen konnte. Jetzt würde er seine gottgegebenen Worte für die Nachkommen verfassen, wie er selbst es nannte, und das brauchte für gewöhnlich Zeit.
     
    Bran saß lange da, den Umhang um sich geschlungen. Er lauschte den Zweigen, die sich im Wind bewegten, den Knochenpfeifen an dem Haus, an dem sie vorbeigekommen waren, und dem Kratzen, wenn Turvi seine Worte auf das Pergament schrieb. Er sah die Zeichen unter der Hand des Einbeinigen entstehen und wünschte sich, sie deuten zu können. Doch er wusste, dass solche Fähigkeiten nicht für einen Häuptling bestimmt waren, und so ließ er seinen Blick den Wolken folgen, die unter dem Himmel dahintrieben. Wie sie über ihn glitten, Pferde, Schiffe und Heere mit zahllosen Kriegern, und sich dann mit dem Dunst über dem Meer vereinten. Als die Nacht nicht länger Nacht war und sich das graue Morgenlicht im Osten erhob, stand er auf und schüttelte die Trägheit aus seinen Gliedern.
    »Bist du bald fertig?«, fragte er.
    »Sei still!« Turvi tauchte den Knochenstift in das Kohlenwasser. »Ich versuche, das Morgenlicht einzufangen.«
    Bran rieb sich die Augen und betastete sein Kinn. An den Bartstoppeln konnte er sich gut den Handrücken kratzen. Er warf den Umhang zurück und sah zum Meer hinunter. Das erste Boot ruderte aus dem Schutz der Mole heraus. Das müssen Fischer sein, dachte er. Der Mann mit dem Korn hatte die Brote auf den Tisch gelegt, und schon stand eine Frau dort und sprach mit ihm. Bran fuhr mit den Fingern über einen Busch, der neben der Treppe stand. Die Zweige trugen Beeren, die so groß waren wie sein Daumennagel, und er spürte, dass er Durst hatte. Zwischen den Stämmen wuchsen Gras und Blumen. Hörte er nicht das Rauschen eines Baches? Bran trat unter die Zweige und spitzte die Ohren. Jetzt hörte er nichts, doch der Pfad, auf dem er stand, schien oft benutzt zu werden. Er folgte ihm zwischen Dornensträuchern hindurch. Es roch nach nasser Erde, und Gras und Vögel zwitscherten in den verflochtenen Baumkronen. Da hörte er wieder dieses Geräusch, und jetzt war er sich sicher, dass es ein Bach sein musste. Er duckte sich und trat mit gebeugten Rücken unter einem Spinnenetz hindurch. Der Weg teilte sich vor einem bemoosten Baumstumpf, und am Ende der oberen Abzweigung sah er das Wasser. Er lief zu dem Bach und beugte sich über die glatten Steine. Dann warf er sich eine Hand voll Wasser ins Gesicht und roch. Als er weder Fäulnis noch den modrigen Geruch von Erde wahrnahm, tauchte er sein Gesicht hinein und ließ das Wasser in seinen Mund rinnen.
    Er sah sie erst, als er wieder aufstand. Sie saß ein paar Körperlängen entfernt auf der anderen Seite des Baches auf einem Baumstamm.
    »Tir?« Er wischte sich den Mund ab und entdeckte den Turm und die Mauer gleich hinter den Bäumen. »Ich war durstig. Ich habe dich nicht gesehen.«
    »Ich habe dich gesehen.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. In ihrem blauen Kleid hob sie sich kaum von den dunklen Schatten ab.
    Er sah zu ihr hinüber und fühlte sich merkwürdig. »Ich bin dem Geräusch nachgegangen, dem Bach. Ich habe es von der Treppe aus gehört.«
    »Das ist der Bach meines Onkels.« Sie richtete den Blick auf das Laubdach über

Weitere Kostenlose Bücher