Brasilien: Ein Land der Zukunft
aus dem das Deckblatt geformt wird, will hier nicht gedeihen. So muß dieses Deckblatt – Milliarden und Milliarden solcher Blätter – aus Sumatra hergeschafft werden, und an jeder Zigarre, die man achtlos schmaucht, haben zwei Erdteile Anteil, Asien und Amerika, und wir rauchen sie meist noch in dem dritten. Ist das Deckblatt endlich umgeschlagen, so muß eine andere handfertige Künstlerin die Spitze drehen, wieder andere schwarze Finger kleben die Etikette um, wieder andere die Steuerzettel (die hier in Brasilien allem anhaften außer dem neugeborenen Kinde). Dann erst kommt die Cellophanhülle, die Packung, das Zuschneiden, das Füllen der Kisten und der Brandstempel darauf – fast schäme ich mich, eine Zigarre in den Mund zu stecken, seit ich weiß, wieviel Mühe daran hängt. Und als ich die Hunderte gebeugten Rücken all dieser braunen Mädchen sah, fühlte ich schuldbewußt, wieviele Rücken ich so gebeugt. Aber derlei Bedenken dauern nicht lang. Und da diese Potentaten gastfreundlich mich mit Kistchen ihres trefflichen Fabrikats beschenkten, gingen, noch ehe wir nach Bahia zurückkehrten, einige dieser Skrupeln in blauem, kühlem Rauch auf.
Den dritten der drei Potentaten Nordbrasiliens, den Kakao, konnte ich nicht in seiner eigenen Residenz besuchen. Denn der Kakao hat seinen Lieblingsort in feuchten und schwülen Zonen unter einem Schirmdach von Urwaldbäumen, die ihm die erwünschte – und uns höchst unerwünschte – Treibhauswärme geben, in der er, umschwirrt von Myriaden Moskitos, am besten gedeiht. Aber glücklicherweise besitzt er außerdem ein elegantes Stadthaus in Bahia, das »Instituto do Cacau«, wo man in plastischem Bilde die blühenden Bäume mit ihren Früchten bequemer betrachten kann. Denn das ist das Sonderbare dieses Baumes, daß er gleichzeitig blüht und Frucht trägt; während die Früchte als kleine Kürbisse in einer Pflanzung abgeerntet werden, sind die andern schon nachgereift, und die Ernte kann also gewissermaßen in continuo [fortlaufend] erfolgen. Die Kerne, welche den süßen, schmackhaften Saft geben, sind – auch dies mußte ich erst lernen – bitter, und es erfordert sehr umständliche Prozeduren der Reinigung, Entbutterung, Sterilisierung, ehe hier die prallen Säcke mit elektrischen Rollen bis ins Schiff befördert werden; hier allein haben schon ganz moderne Methoden eingesetzt, und dieses Institut ist somit Kaufhaus, Warenhaus, Museum, Universität des Kakaos, und man lernt hier mehr in einer Stunde als daheim aus hundert Büchern.
Recife
Ungern – Bahia ist zu schön, zu verlockend! – besteigt man das Flugzeug, das einen weiter nordwärts trägt nach – wie soll man es nennen: Pernambuco oder Recife oder Olinda? Die Stadt hat eigentlich drei Namen; wenn Kaufleute Waren verschicken, konsignieren sie sie nach Pernambuco [geben sie als Bestimmungsort Pernambuco an]. Aber ich liebe die alten Namen der zwei Schwesterstädte, Recife und Olinda, die eigentlich schon in eine verschmolzen sind; seit Jahren klingt mir die Melodie der musikalischen drei Silben Olinda nach und erinnert an alte Bücher und Legenden aus jener verschollenen Zeit, da die Stadt ihren vierten Namen noch hatte: Mauritsstaad. Denn so sollte sie heißen nach Moritz von Nassau, der sie erobert und hier ein kleines Amsterdam begründen wollte mit blanken sauberen Straßen und einem schön geziegelten Palast; sein gelehrter Lobpreiser Barleus hat uns die Pläne und Abbildungen in dem mächtigen Foliobande übermittelt, der das einzige Denkmal des holländischen Dominiums geblieben ist. Vergebens suchte ich hier den Palast, den hoch berühmten, die mächtigen Zitadellen, die Häuser mit ihren holländischen Hügeln und die Windmühlen, die er zur Erinnerung an die Heimat mit herüberbrachte – entschwunden und verschwunden alles bis zum letzten Stein! Nichts ist vom Vergangenen geblieben als die alten portugiesischen Kirchen von Olinda und ein paar der stillen Kolonialstraßen, freilich dies alles durch eine friedliche und liebliche Landschaft verschönt. Olinda hat nichts von der Großartigkeit Bahias, nicht jene mächtige Vista der hoch erhobenen Stadt; es ist ein romantischer Winkel, ganz in Stille und Natur gehüllt, ein träumerischer Ort, seit Jahrhunderten mit sich selbst allein und kaum hinüberblickend zur lebendigeren, jüngeren Schwesterstadt. Denn Recife ist ganz Fortschritt und Regsamkeit: ein Hotel, das jedem Ort Amerikas Ehre machen würde, ein schöner Flugplatz,
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