Brasilien: Ein Land der Zukunft
Heiligen und der Freude des Volkes zu dienen. Auf Leiterwagen, auf ganz vorweltlichen Gespannen sitzen die jungen Burschen, die Besen stolz wie Gewehre schulternd, und unablässig übt sich eine mißtönende, ungeschulte Blechmusik; aber das alles glänzt und quirlt in dem lodernden Licht, und rückwärts blaut das Meer und zu Häupten der Himmel. Es ist ein Fanal der Farben und der Heiterkeit.
Endlich – mit der üblichen brasilianischen Verspätung – setzt sich der Zug in Bewegung. Er marschiert, die Frauen in langer Reihe, mit ihren Krügen zu Häupten, voran, sehr langsam durch die Stadt, denn alles will den Zug sehen. Von den Türen, von den Fenstern winkt und jubelt es »Viva [o Senhor do] Bomfim«, die alten Leute haben sich ihre paar armen Strohstühle aus den Wohnungen auf die Straße gestellt, um nur nichts zu versäumen – für diese Genügsamsten der Welt, für das brasilianische Volk, ist ja ein Anblick schon ein Fest. Da dieser Zug mit den steil getragenen Krügen, aus denen kein Tropfen verschüttet werden soll, fast zwei Stunden dauert, waren wir in die Kirche vorausgefahren, um ihn dort zu erwarten. Aber schon war die Kirche voll. Frauen, Männer, unzählige schwarze lachende Kinder drängten dort in Erwartung des Fests, einer an den andern gepreßt; hoch oben die Fenster, die Sakristei, die Stufen, alles war schon überflutet von wolligen Köpfchen und zitternd vor Erwartung. Aber – ich begriff es erst später – gerade diese Erwartung steigert bei diesen Leichterregbaren Spannung zu einer Art sinnlicher Lust, und als ein erster Böllerschuß meldete, daß an einer Biegung unten am Wege die Spitze des Zuges gesichtet sei, entstand eine Explosion des Jubels, wie ich es selten gesehen. Die schwarzen Kinder patschten in die Hände und stampften vor Freude, die Erwachsenen schrien »Viva [o Senhor do] Bomfim«, die ganze breite Kirche dröhnte für eine Minute von diesem Jubelschrei. Aber noch war der Zug weit. Die Erregung wuchs, man konnte es an den gespannten Gesichtern sehen, immer mehr ins Ekstatische. Bei jedem Böllerschuß ein neuer Aufschrei »Viva [o Senhor do] Bomfim«, ein neues Klatschen und Tosen und immer heftiger und heftiger: ich muß gestehen, daß etwas von dieser gestauten Ungeduld, von dieser geballten Leidenschaft der Masse in mich überging. Und näher und näher. Endlich traten die ersten Frauen des Zugs hoheitsvoll durch das Kirchentor, um die Blumen fromm vor dem Altar niederzulegen – ich sah von oben, wie sie durch ein prasselndes Spalier von Schreien aufrecht schritten, und rings herum das Wogen der dicht aneinandergepreßten Köpfe, die tausend aufgerissenen wilden Lippen mit dem einzigen Schrei »Viva [o Senhor do] Bomfim, Viva [o Senhor do] Bomfim!« Man spürte deutlich eine geballte Erwartung, es war wie ein riesiges schwarzes Tier, das sich auf seine Beute stürzen will. Endlich kam der ersehnte Augenblick. Mit geschulter Energie drängten einige Polizisten die Menge von der Kirchenmitte zurück, um die Fliesen freizulegen, die gescheuert werden sollten. Wasser wurde aus den Krügen – unter fortwährenden tobenden Jubelrufen der Menge – auf den Boden gegossen, und die ersten nahmen die Besen. Aber diese ersten taten es noch in einer frommen, einer demütigen Art, ganz in der ehrfürchtigen Absicht, einen religiösen Dienst zu verrichten; sie verbeugten sich zuerst vor dem Altar und schlugen das Kreuz. Aber bald waren die andern, die gleichfalls dem Heiligen dienen wollten, nicht mehr zu halten; die Ungeduld des Wartens, das Schreien, das Jauchzen hatte sie ekstatisch gemacht. Und plötzlich begann inmitten der Kirche ein Treiben wie von Hunderten schwarzen Teufeln. Einer riß dem andern den Besen weg, oft waren es zwei, drei, zehn, die an einem Stiel durch die Kirche fuhren; andere, die keinen Besen hatten, warfen sich hin und rieben mit den nackten Händen die Erde, und jeder, jeder schrie »Viva [o Senhor do] Bomfim«, die Kinder mit ihren kleinen, gellenden Stimmen, die Frauen, die Männer – es war ein Lustschreien schon, die tollste Massenhysterie, die ich jemals gesehen. Da warf ein Mädchen, sicher sonst still und zurückhaltend, sich von den Ihren losreißend, die Hände hoch und gellte, das Gesicht lusthaft wie eine Bacchantin verzückt, »Viva [o Senhor do] Bomfim, Viva [o Senhor do] Bomfim«, bis ihr die Stimme brach. Eine andere, die vor Schreien und Toben ohnmächtig geworden war, wurde hinausgetragen, und zwischendurch tobten die
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