Brasilien: Ein Land der Zukunft
wollte dank des »flüssigen Goldes« sich das Schwergewicht der Wirtschaft wieder wie einst nach dem Norden neigen. Dann ebbte die Konjunktur scharf und schärfer ab, die internationalen Compagnien, die Handelshäuser schrumpften ein oder verschwanden. Seitdem wurde Belém wieder, was es vordem gewesen, eine stattliche, aber stille Stadt. Durch das Flugzeug ein Abstoßpunkt nach Nordamerika und Südamerika und Europa, hat es anderseits eine neue Zukunft vor sich; wenn einst die unermeßlichen und noch nicht ermessenen Gebiete des Amazonas sich erschließen, wird sein vorschneller Traum der Macht sich vielleicht noch großartiger erfüllen, als er geträumt war.
Die große Sehenswürdigkeit von Belém sind seine zwei Gärten, der zoologische und der botanische, die die ganze Fauna und Flora der Amazonenwelt in sich zusammenfassen. Wer nicht das Glück, die Zeit und den Mut hat, tagelang den Strom emporzufahren – die »grüne Wüste«, wie man es nennt, weil in ununterbrochener aber grandioser Monotonie rechts und links des Wassers die Wälder sich türmen – , der kann hier auf gekiesten und bequemen Pfaden Urwald ahnen, atmen und schauen. Da ist die berühmte Hevea Brasiliensis, der Gummibaum, der dieser Zone Reichtum versprach und dann ihn der ganzen Welt, statt bloß seinem Heimatlande gegeben; ich durfte ihn ritzen, und nach einer Minute quoll durch den winzigen Einschnitt schon der weiße klebrige Saft. Da ist ein anderes Wunder, der Baum, den die Eingeborenen als heilig verehrten, weil er der einzige ist, der nicht an seiner Stelle und in seinen Wurzeln verharrt, sondern wandert – wahrhaftig wandert. Denn er streckt sein Gezweig so weit vor, bis es müde wird und sich zur Erde neigt. Dort senkt es sich ein, gewinnt neue Kraft aus dem Boden, wird Zweig und Stamm und rankt sich empor, indes der alte Stamm eintrocknet und verfällt. So ist er ein paar Schritte weitergegangen, ein anderer Stamm und doch derselbe Baum, und so wandert er weiter, bestaunt von den Wilden als ein wissendes, beseeltes Wesen. Und dann andere Wunder, Riesenstämme, längst nicht mehr zu umspannen, die wirren Lianen, die tausendförmigen Sträucher und dazwischen das Getier, die farbigen Vögel, die dünnen und gläsernen Fische, deren manche wie ein Automobil vorne und hinten ein Warnungslicht tragen – Wunder einer verschwenderischen und kapriziösen Natur ohne Ende. Und all dies nicht museal und nüchtern-katalogisch aneinandergereiht, nicht künstlich aufgezüchtet, sondern dieser Erde entwachsen, zu ihr gehörig, mit ihr verbunden; zu kurz wird einem die Zeit, und unzulänglich erscheint einem das eigene Wissen. Ob man nicht die Reiseroute noch ändern sollte? Nicht doch den riesigen Strom empor in diese Zonen des Geheimnisses, wo die Natur sich in ihrer ganzen Übermacht dem Menschen zeigt? Aber wo könnte man im Endlosen enden? Wird es nicht immer noch verlockender, verführerischer werden, je weiter man ins Unbetretene vordringt, und dabei weiß man: nie wird es einem gelingen, auch nur eine Handbreit Brasiliens auszumessen! Ist es nicht Anmaßung, gleich auf den ersten Griff, mit nur einer mehrmonatlichen Reise ein Land, eine Welt kennen zu wollen, die sich selbst noch nicht einmal im Ausmaß kennt? Alles Reisen in Brasilien heißt Entdecken und doch gleichzeitig Verzichten: jeder sieht nur einen Teil, keiner kennt das Ganze. Aber wer klug ist, der ist auch dankbar und sagt in der rechten Stunde: genug für diesmal!
So wieder zurück auf den Flugplatz. Neben unserem Air-liner liegt der andere, der den Amazonas empor sich nach Manaus wendet, indes unserer zum Äquator steuert und dann den Vereinigten Staaten zu. Unwillkürlich blickt man sehnsüchtig zurück, wie er jetzt die Flügel hebt und hinschwingt in die unbekannten Zonen. Aber dann besinnt man, da der Motor anhebt zu rattern, um uns fortzutragen, wieviel Dank man schon schuldet für Glück und Gewinn dieser Wochen und Monate. Wer Brasilien wirklich zu erleben weiß, der hat Schönheit genug für ein halbes Leben gesehen.
Zeittabelle
7. Juli 1497
Erste Fahrt nach Indien (Vasco da Gama).
9. März 1500
Zweite Fahrt nach Indien (Pedro Álvarez Cabral).
25. April 1500
Cabral landet auf dem Wege in Brasilien.
1501
Fernando de Noronha beginnt den Handel mit Brasilholz.
1503
Vespucci besucht Brasilien auf der Flotte Gonçalo Coelhos.
1507
Der Name »Amerika« zum erstenmal auf einer Karte
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