Brasilien: Ein Land der Zukunft
tollen Teufel und rieben und schrubbten und fegten, als sollte ihnen das Blut unter den Nägeln vorspringen – etwas so ungeheuer Hinreißendes und Ansteckendes war in diesem religiös-lustvollen Fegen, daß ich nicht sicher war, ob ich nicht selbst, wenn ich mich inmitten dieser Exaltierten befunden hätte, einen solchen Besen an mich gerissen hätte. Es war eigentlich die erste Massentollheit, die ich gesehen, und noch gesteigert in ihrer Unwahrscheinlichkeit dadurch, daß sie in einer Kirche geschah, ohne Alkohol, ohne Musik, ohne Stimulantien und mitten am Tag unter einem glorreich strahlenden Himmel.
Aber das ist das Geheimnis von Bahia, daß hier noch von den Ahnen her sich das Religiöse mit dem Lusthaften im Blute geheimnisvoll verbindet, daß Erwartung oder monotone Erregung besonders bei den Negern und Mischlingen solche unerwartete Rauschempfänglichkeit auslöst; nicht zufällig ist ja Bahia die Stadt der »Candomblés« und jener »Macumba« [kultischer Tänze der Neger], in der alte, blutige afrikanische Riten sich mit einem Fanatismus für das Katholische auf sonderbarste Weise verbinden. Über diese »Macumba« ist viel geschrieben worden, und jeder Fremde rühmt sich, durch einen besonderen Freund eine »echte« gesehen zu haben; in Wirklichkeit hat die Sonderbarkeit, die Fremdartigkeit dieser Riten, trotzdem die Neger sie vor der Polizei vorsichtig geheimhalten mußten, den Wert einer Kuriosität erlangt und längst zu solchen pseudoechten Inszenierungen geführt wie in Indien die Darbietungen der von Cook für die Fremden engagierten Yogis. Auch die Macumba, die ich gesehen, war – ich gestehe es ehrlich ein – zweifellos gestellt und inszeniert. Um Mitternacht in einem Wald über Gestein und Gestrüpp eine halbe Stunde lang steigend und stolpernd – die Schwierigkeit der Zugänglichkeit soll die Illusion des Verbotenen und Geheimnisvollen steigern – kamen wir zu einer Hütte, wo bei spärlichem Licht ein Dutzend Neger und Negerinnen versammelt waren. Sie schlugen auf Pauken den Takt und sangen und sangen im Chor eine einzige Melodie, immer dieselbe, immer dieselbe, immer dieselbe, und schon diese Monotonie erregte und machte ungeduldig. Dann kam der Zauberer mit seinen Tänzen und seinem Opfer, immer wieder dazwischen von dem scharfen Zuckerschnaps trinkend und Tabak zerkauend, und es wurde getanzt und getanzt und getobt bis ins Epileptische, da der erste hinfiel mit starren Gliedern und verdrehten Augen. Ich wußte in jedem Augenblick, daß all dies vorbereitet und gelernt war, aber dennoch: durch das Tanzen, Trinken und vor allem die grauenhafte, nervenaufpeitschende Monotonie der Musik war Rauschhaftes selbst in dem Spiel, dasselbe Rauschhafte wie in der Kirche von [Senhor do] Bomfim, wo die Lust am Lärm, an der Ekstase um der Ekstase willen die friedlichsten, stillsten Menschen überwältigte. Auch hier wie in allem: was in Brasilien sonst schon vom Neuzeitlichen abgeschliffen, in seinen Ursprüngen verdeckt und von Europäischem überwachsen ist – all das, das Urtümliche, das Bluthafte und Ekstatische, verschollene Seelenepochen, ist hier in Bahia in geheimnisvollen Spuren noch erhalten, und in manchen seltenen Manifestationen spürt man noch hintergründig seine Gegenwart.
Besuch bei Zucker, Tabak und Kakao
Ich hatte in São Paulo dem Kaffee meinen Besuch abgestattet, dem einstigen Potentaten des Landes, so wollte ich auch seine Geschwister sehen, die diese Erde reich, fruchtbar und berühmt gemacht. Solche hohe Herren kommen einem nicht entgegen. Man muß sich die Mühe machen, stundenlang zu ihren Residenzen zu reisen. Aber diese Mühe wird in sich selbst belohnt. Denn der Weg nach Cachoeira, der mitten durch die herrlich fruchtbare Zone um Bahia führt, ist eine einzige Folge schöner Blicke. Da sind die Palmenwälder zuerst, so dicht und so dunkel, so weit und so mächtig, wie ich bisher keine gesehen; man kennt Palmen sonst meist als Einzelgänger, als einsame Wächter über einer alten Hütte, als Hüter in einem vornehmen Park, als Spalier auf südlichen Boulevards. Hier aber waren sie dicht aneinander, Grün in Grün, Schaft an Schaft wie eine römische Legion, Schild an Schild, und diese üppige Masse gab nur die erste Ahnung von der Sattheit und Fruchtbarkeit der Gegend von Bahia. Dann wieder vorbei an langen Flächen, wo Mandioca gepflanzt wird, die Hauptnahrung des Landes, dieses wohlschmeckende und nahrhafte Wurzelmehl, das der Urbevölkerung war, was den
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