Brasilien: Ein Land der Zukunft
moderne Straßen, und in den modernen Einrichtungen steht es unter den ersten der brasilianischen Städte. Radikal fegt hier der Gouverneur die »Mocambos« weg, die Negerhütten, die wir als so romantisch empfinden, und baut – ein sehr bemerkenswerter Versuch – jeder Erwerbsgruppe eigene Häusergruppen. Die Wäscherinnen, die Schneiderinnen, die kleinen Beamten erhalten gegen langsame und leichte Abzahlung helle freundliche Häuschen mit elektrischem Licht und allen neuzeitlich-technischen Errungenschaften statt ihrer ungesunden Quartiere; in ein paar Jahren oder Jahrzehnten wird sich hier eine Musterstadt entfalten. Und so reist man hier von Kontrast zu Kontrast, von der alten Stadt zur neuen, von dem Urwald in die Neuzeit ist es hier oft nur ein Schritt, nichts ist hier gleichgültig und schablonenhaft und jeder Tag einer Reise eine andere Entdeckung.
Flug zum Amazonas
Und weiter nach Norden. Von Recife nach Belém an der Mündung des Amazonenstroms muß man sich – sonst dauert es ebensoviele Tage als jetzt Stunden – des Flugzeugs bedienen; es sind kleine, nicht sehr bequeme Hydroplane [Wasserflugzeuge], die einen fast jede Stunde an einer anderen Stadt der Küste absetzen, in Cabedelo, in Natal, in Fortaleza, Camocin, Amarrac̣ão, São Luiz, ehe man endlich in Belém landet. Aber welche kleine, unbekannte Städte sonderlichster Art lernt man dadurch kennen und wieviel Landschaft! Es ist der einzige Weg, den man wählen soll, denn mit dem Schiff sieht man nur Schale ohne den Kern, nur die Küste und nicht das Land; eine Bahn wiederum und Autostraßen sind hier nur selten zur Stelle. Einzig diese Vogelschau gewährt eine erste Ahnung von der Vielfalt und Größe dieses Lands. Die eigentliche Überraschung in diesem unablässig abwechslungsreichen Bilde sind die Ströme. Wie viele Flüsse durchschneiden das Land und wie mächtig sind sie an ihren Mündungen, jeder einzelne, obwohl wir ihren Namen nie gehört, so gewaltig wie die größten unserer europäischen Ströme. Aber gleichzeitig erkennt man auch – und dies hat Brasilien sehr gehemmt in seiner Entwicklung – wie unwillig, fast möchte man sagen: wie boshaft, wie tückisch sie sich dem Verkehr verweigern. Statt sich zu verbinden oder mit starkem Gefäll dem Meer entgegenzuströmen, winden und krümmen sie sich unablässig und zögern in seichten Lagunen. So liegt das Land eigentlich noch verlassen; selten zeigt sich ein Weg oder ein Dorf, weit dehnen sich die Wälder, die in Wochen und Monaten kaum jemand betritt, selten leuchtet ein Segel am Strande oder auf den unzähligen Flüssen und Teichen. Wieviel Land wartet hier noch auf den Menschen und ein wie schönes Land, gekühlt vom Atem der Brise, leuchtend im Licht, überall – außer in der kurzen Fläche, wo eine kleine Salzwüste weiß funkelt wie frisch gefallener Schnee – fruchtbar und wahrscheinlich noch lange nicht nach all seinen Möglichkeiten durchforscht! Hier wird erst die Zukunft Antwort geben.
Und dann Belém! Seit Kindheitstagen hat man geträumt, den Amazonas, den mächtigsten Fluß zu sehen – seit Kindheitstagen, seit man zum erstenmal von Orellana gelesen, der ihn auf einem kleinen Kanu von Peru als erster hinabgefahren in der denkwürdigsten aller Reisen – seit Kindheitstagen, da man in dem Tiergarten die Papageien sah, die dort im Glast ihrer Farben prunkten, und die geschwinden Äffchen, und an dem Schilde stand: Amazonas! Nun ist man an seiner Mündung oder vielmehr: einer seiner Mündungen, deren jede mächtiger ist als alle unserer Flüsse.
Belém selbst ist zuerst nicht so eindrucksvoll wie man erwartet, weil es sich nicht unmittelbar an den Strom lehnt und ihn nicht frei überblickt. Aber es ist eine schöne, belebte Stadt, weit in ihren Proportionen, und überall sieht man Zeugnisse ihrer kühnen, stolzen Zeit. Denn zwanzig Jahre lang hat Belém geträumt, über Nacht eine moderne Luxusstadt zu werden; das war, als der große Boom des Gummis begann und der Norden Brasiliens noch das Monopol der Hevea Brasiliensis einzig in Händen hatte. Damals wurden die runden schwarzen Kautschukkugeln, die mit den Schiffen und Barken den Amazonas herabkamen, mit irrer Geschwindigkeit zu Gold, und die Stadt strömte über davon. Damals baute sich Belém ebenso wie Manaus ein großes prächtiges Opernhaus, das heute ziemlich nutzlos auf dem großen Platze steht, um die erträumten Carusos würdig zu empfangen, stattliche Villen reihten sich auf, und es schien, als
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