Brasilien: Ein Land der Zukunft
denen neue Nerven und Adern sich weiter bilden ins Unbetretene; in bitterster Feindschaft dem geduldigen Siedlungsplan der Jesuiten entgegenwirkend, haben sie anderseits gerade durch ihr ungeduldiges Vordringen ins Unbekannte das Werk der Durchdringung beschleunigt, nach Goethes Wort »ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft«. Auch sie haben an der Schaffung Brasiliens ihr gutes Teil.
Paulisten sind es auch, die auf einer ihrer »entradas« in die völlig unbewohnten Bergtäler von Minas Gerais eindringen und dort im Rio das Velhas das erste Gold finden. Einer der Bandeirantes bringt die Nachricht nach Bahia, ein anderer nach Rio de Janeiro, und sofort setzt von beiden Städten und allen möglichen Orten eine ganze Völkerwanderung in diese unwirtlichen Gebiete ein. Die Plantagenbesitzer treiben ihre Sklaven mit sich, die Zuckerwerke werden verlassen, Soldaten desertieren; in ein paar Jahren entsteht im Goldbezirk ein kleiner Ring von Städten, Vila Rica, Vila Real, Vila Albuquerque mit hunderttausend Einwohnern. Dazu kommt bald darauf die Entdeckung der Diamanten. Mit einemmal ist Brasilien die reichste Goldquelle der Welt und der kostbarste Besitz der portugiesischen Krone geworden, die sich von vornherein den Fünftteil an allem gefundenen Gold und jeden Diamanten über zweiundzwanzig Karat gesichert hat.
Die neue Provinz bietet zunächst das Bild eines vollkommenen Chaos. Wie in den ersten Zeiten der Kolonisation fühlen sich in diesen abgelegenen Gebirgstälern, weil noch ohne staatliche Kontrolle, die Eindringlinge jenseits von Recht und Pflicht, und der eingesetzte Gouverneur stößt – ebenso wie seinerzeit die Jesuiten – auf entschlossenen Widerstand, sobald er Ordnung und Zucht einführen will. Die »Paulisten« wehren sich gegen die »emboabos«, die Eindringlinge von der Küste, und es kommt zu verzweifelten Kämpfen, in denen schließlich die königliche Autorität der Oberhand behält. An und für sich ist es nur Habgier, welche die ersten Goldgräber, die den unerwarteten Reichtum mit niemand anderem teilen wollen, zusammenrottet. Aber hinter ihrem eigenmächtigen Widerstand wirkt als höherer Wille schon unbewußt ein nationales Empfinden. Die Paulisten stellen mit diesen ersten Revolten gegen die portugiesische Autorität rein instinktiv die Forderung auf, allerdings noch ohne sie zu formulieren, daß jeder Reichtum der brasilianischen Erde Brasilien gehöre; sie empfinden es als absurd, daß das Gold, das sie – oder vielmehr ihre Sklaven – graben, verwendet werden solle, um Tausende Meilen über dem Meer in einem Lande, das sie zeitlebens nie sehen werden, Paläste und gigantische Klöster zu bauen. In gewissem Sinn ist dieser erste, rasch niedergeschlagene Aufstand der Goldgräber gegen die portugiesische Autorität schon das erste Vorspiel des großen Unabhängigkeitskampfes, der in derselben Stadt, an derselben Stelle ein halbes Jahrhundert später seine niedergehaltenen Kräfte neuerdings entladen wird. Denn das Gold als die sichtbarste, münzbarste Wertsubstanz hat Brasilien zum erstenmal das Selbstbewußtsein seines Reichtums gegeben; von der Stunde seiner Entdeckung an betrachtet sich das Land nicht mehr als der Verschuldete und Dankespflichtige gegen sein Ursprungsland, sondern als freies Subjekt, das seine einstige Verpflichtung bereits in hundertfachen Werten an die Heimat zurückerstattet hat.
Im ganzen dauert dieser Goldtaumel nicht länger als fünfzig Jahre. Dann versagt ;– eine Katastrophe für Portugal – diese kostbare Quelle. Aber immer wiederholt sich in der Geschichte Brasiliens das gleiche merkwürdige Phänomen: was für sein Mutterland, für Portugal, ein Unglück bedeutet, wird für die Kolonie zum Gewinn. Über Portugal bricht, sobald die Goldsendungen ausbleiben, eine Finanzkrise schwerster Art herein, die Pombal nicht bemeistern kann und die im weiteren Verlauf die Austreibung der Jesuiten und seinen eigenen Sturz zur Folge hat: Brasilien wird dagegen eher stabilisiert. Denn durch die Auffindung des Goldes ist eine neue Verschiebung des Gleichgewichts und damit eine erste Konsolidierung in der Menschenverteilung Brasiliens eingetreten. Abermals sind große Massen in das bisher schwachbesiedelte Innere verpflanzt worden, und selbst als das Schwemmgold im Sande abgeschöpft ist, ziehen es die einstigen Goldgräber vor, die hier keine Bleibe und auch sonst keine Heimat haben, statt an die Küste zurückzuwandern, in
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