Brasilien: Ein Land der Zukunft
ist unermeßlicher Reichtum an Scholle, die noch nie Anbau und Pflug gekannt, und unter ihr Erze, Mineralien und Bodenschätze, die nicht im entferntesten ausgenützt und kaum annähernd entdeckt sind. Hier besteht Siedlungsmöglichkeit in einem Umfang, den ein Phantast vielleicht richtiger errechnet als der übliche Statistiker: schon die Verschiedenheit der Kalkulationen, ob dies Land, das heute etwa fünfzig Millionen zählt, fünfhundert, siebenhundert oder neunhundert bei normaler Dichtigkeit beherbergen könnte, gibt einen Anhaltspunkt für die fachmäßigen Schätzungen, was Brasilien in einem Jahrhundert, vielleicht schon in Jahrzehnten in unserem Kosmos sein könnte. Und man unterschreibt gerne die knappe Formulierung von James Bryce: »Kein großes Land der Welt, das einer europäischen Rasse gehört, besitzt ähnliche Fülle der Erde für die Entwicklung menschlichen Daseins und einer schöpferischen Industrie.«
Von Gestalt eine riesige Harfe, kurioserweise mit ihrer Grenzlinie das Profil ganz Südamerikas genau nachzeichnend, ist dieses Land alles zugleich, Bergland, Küstenland, Flachland, Waldland, Flußland und fruchtbar in fast allen seinen Gliederungen. Sein Klima vereint alle Übergänge vom Tropischen zum Subtropischen und Europäischen, seine Luft ist hier feucht und dort trocken, hier ozeanisch und dort alpin, es wechseln regenarme mit regenreichen Zonen und damit die Möglichkeiten für die verschiedenartigste Vegetation. Brasilien besitzt oder speist die mächtigsten Ströme der Welt, den Amazonas und den La Plata, seine Gebirge gemahnen in manchen Partien an die Alpen und steigen mit dem höchsten Gipfel, dem Itatiaia dreitausend Meter hoch zu Schneezonen auf. Seine Wasserfälle, der Iguassú und der Sete Quedas übertreffen den ungleich berühmteren Niagara an Gewalt und zählen zu den größten hydraulischen Elektrizitätsreserven der Welt, seine Städte wie Rio de Janeiro und São Paulo können schon heute, noch inmitten eines phantastischen Wachstums, mit den europäischen an Luxus und Schönheit rivalisieren. Alle Formen der Landschaft wechseln vor dem immer wieder faszinierten Blick, und die Vielfalt ihrer Fauna und Flora gewährt seit Jahrhunderten den Forschern noch immer neue Überraschungen: allein das Verzeichnis seiner Vogelarten füllt ganze Bände von Katalogen, und jede neue Expedition bringt Hunderte neuer Spezies heim. Was aber unterhalb dieser Erde an latenten Möglichkeiten, an Mineralien und Erzen noch verborgen liegt, wird erst die Zukunft enthüllen. Gewiß ist nur, daß die größten Eisenvorräte der Welt hier unangetastet warten, allein schon ausreichend, um unseren ganzen Erdball für Jahrhunderte zu versorgen, und daß im geologischen Bilde kaum eine Erz-, eine Stein-, eine Pflanzenart diesem gewaltigen Imperium fehlt. Soviel in den letzten Jahren an erster ordnender Übersicht auch geleistet worden ist, die eigentliche Feststellung und Bewertung steht hier noch im Anfang und sogar vor dem entscheidenden Beginn. So muß man es immer wieder sagen: dies ungeheure Land bedeutet für unsere überdrängte, vielfach schon ermüdete, ausgeschöpfte Erde dank einer Unverbrauchtheit und Weiträumigkeit heute eine der größten Hoffnungen und vielleicht sogar die berechtigtste Hoffnung unserer Welt.
Der erste Eindruck von diesem Lande ist der einer verwirrenden Üppigkeit. Alles ist vehement, die Sonne, das Licht, die Farben. Das Blau des Himmels schmettert hier stärker, das Grün ist tief und satt, die Erde dicht und rot, kein Maler kann auf seiner Palette glühendere, blendendere, schillerndere Farbtöne finden als hier die Vögel auf ihrem Gefieder, die Schmetterlinge auf ihren Schwingen tragen. Immer erreicht die Natur ihren Superlativ, die Gewitter, die mit krachenden Blitzen den Himmel aufreißen, die Regen, die wie Wildbäche niederstürzen, die Vegetation, die in paar Monaten zu gewaltigen grünen Wildnissen wuchert. Aber auch die Erde, seit Jahrhunderten und Jahrtausenden unberührt und zur vollen Leistung noch nicht herausgefordert, gibt hier auf jeden Anruf Antwort mit einer fast unglaubhaften Kraft. Erinnert man sich an die Mühe, die Qual, die Geschicklichkeit, die Zähigkeit, mit der man in Europa einem Garten oder einem Feld Blumen oder Früchte entringen muß, so begegnet man hier im Gegenteil einer Natur, die man eher bändigen muß, nicht zu wild, nicht zu ungestüm sich zu entfalten. Hier muß man Wachstum nicht fördern, sondern bekämpfen, damit es mit
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