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Brasilien: Ein Land der Zukunft

Brasilien: Ein Land der Zukunft

Titel: Brasilien: Ein Land der Zukunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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sentimentale, wenn auch etwas habsburgisch kühle Natur, muß ihm die Sklaverei ein Greuel sein. Deutlich zeigt er seinen Widerwillen gegen alle, die mit diesem schandbaren Geschäft zu tun haben, indem er sich hartnäckig weigert, irgend einem und auch dem reichsten Manne, der sein Vermögen durch Sklavenhandel gemacht hat, ein Adelsprädikat oder eine Auszeichnung zu verleihen. Es ist dem kultivierten Manne unermeßlich peinlich, bei seinen Besuchen in Europa vor den großen Vertretern der Humanität, deren Freundschaft er sucht, vor einem Pasteur, einem Charcot, einem Lamartine, einem Victor Hugo, einem Wagner, einem Nietzsche als verantwortlicher Herrscher des einzigen Weltreiches zu gelten, das noch die Sklavenpeitsche und die Brandmarkung duldet. Aber lange muß er diesen seinen persönlichen Widerwillen im Hintergrund halten und jede Einmischung vermeiden gemäß dem Ratschlag seines besten, seines weisesten Staatsmannes Rio Branco, der ihn noch vom Totenbette aus beschwört: »Não perturbem a marcha do elemento servil« [Stört die Entwicklung der Sklavenbwegung nicht], der also auch dieses Problem auf brasilianische, will sagen unradikale Art gelöst sehen wollte. Die wirtschaftlichen Folgen sind im voraus so unberechenbar, der leidenschaftliche Gegensatz zwischen Abolitionisten [Anhängern der Bewegung gegen die Sklaverei] und Sklavenhaltern so unerbittlich, daß der Thron sich gleichsam nur in einer Schaukelstellung zwischen beiden Parteien erhalten kann, weil das Überneigen zur einen oder zur anderen Gruppe seinen Sturz bedeuten könnte. Bis 1884, über vierzig Jahre, hält der Kaiser darum seine – privat wohlbekannte – Meinung möglichst zurück. Aber allmählich wächst seine Ungeduld, sich von dem Odium zu befreien; ein vorläufiges Gesetz 1885 ordnet die Befreiung aller Sklaven an, soweit sie das sechzigste Jahr überschritten haben – wieder ist ein kräftiger Ruck nach vorwärts getan. Noch immer aber ist der Zeitraum, der automatisch zur Befreiung der letzten Sklaven in Brasilien führte, länger als jener, der einem alten und schon kranken Manne zugemessen scheint, der diese Stunde noch selbst erleben will; so stützt Pedro II. immer sichtlicher im Einverständnis mit seiner Tochter, Dona Isabel, der Thronerbin, die Partei der Abolitionisten. Am 13. Mai 1888 wird endlich das langersehnte Gesetz beschlossen, das eindeutig und ohne Aufschub die sofortige Freilassung sämtlicher Sklaven in Brasilien dekretiert.
    Beinahe hätte der alte Kaiser die Erfüllung seines ehrgeizigen Wunsches nie erfahren. In den Tagen, wo der Jubel über die Nachricht die Straßen Brasiliens füllt, liegt Dom Pedro II. lebensgefährlich krank in einem Hotel in Mailand. Im April hatte er noch mit seinem gewohnten Lerneifer die Museen und die Gelehrten Italiens besucht; er war in Pompeji und in Capri gewesen, in Florenz und Bologna, er war in Venedig in der Accademia prüfend von Bild zu Bild gegangen und hatte abends im Theater Eleonora Duse gehört und Carlos Gomes, den brasilianischen Komponisten, empfangen. Dann wirft ihn eine schwere Pleuritis [Rippenfellentzündung] auf das Krankenbett. Charcot aus Paris und drei andere Ärzte behandeln ihn, aber der Zustand des Kaisers verschlimmert sich derart, daß er bereits mit den Sterbesakramenten versehen wird. Besser als alle Medizinen und Mittel wirkt auf ihn die Nachricht von der Aufhebung der Sklaverei. Das Telegramm gibt ihm neue Kräfte, und in Aixles-Bains und Cannes erholt er sich so weit, daß er nach einigen Monaten wieder daran denken kann, in die Heimat zurückzukehren.
    Der Empfang des alten weißbärtigen Monarchen, der seit fünfzig Jahren friedlich und würdig das Land beherrscht hat, ist in Rio enthusiastisch. Aber der Lärm einer einzelnen Straße spricht nie die Stimmung eines ganzen Volkes aus. In Wirklichkeit hat die Entscheidung in der Sklavenfrage noch mehr Unruhe geschaffen als vordem der Parteienkampf, denn noch schwerer als die Warnenden vorausgesehen, setzt die wirtschaftliche Krise ein. Viele ehemalige Sklaven laufen vom Lande in die Städte, die landwirtschaftlichen Unternehmen, denen plötzlich ihre »main d’ceuvre« [ihre Arbeiterschaft] entzogen ist, geraten in Schwierigkeit, und die früheren Eigentümer fühlen sich beraubt, weil ihnen keine oder keine zureichenden Entschädigungen für ihren Kapitalverlust an schwarzem Elfenbein gezahlt werden. Die Politiker, die den scharfen Wind spüren, gebärden sich aufgeregt, weil sie nicht

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