Brasilien: Ein Land der Zukunft
Außenminister], die durch Vernunft und Konzilianz Kriege zu verhindern wußten. Ganz in sich geschlossen, die Sprachgrenze eins mit der Landesgrenze, hat es keinerlei Eroberungswillen, keine imperialistischen Tendenzen. Kein Nachbar kann von ihm etwas fordern, und es fordert nichts von seinen Nachbarn. Nie ist der Friede der Welt durch seine Politik bedroht gewesen, und selbst in einer unberechenbaren Zeit wie der unseren kann man sich nicht ausdenken, daß dieses Grundprinzip seines nationalen Gedankens, dieser Wille zur Verständigung und Verträglichkeit sich jemals verändern könnte. Denn dieser Wille zur Konzilianz, diese humane Haltung ist nicht zufällige Gesinnung einzelner Herrscher und Führer gewesen; er ist hier das natürliche Produkt eines Volkscharakters, der eingeborenen Toleranz des Brasilianers, die sich im Laufe seiner Geschichte immer wieder bewährt hat. Als einzige der iberischen Nationen hat Brasilien keine blutigen Religionsverfolgungen gekannt, nie haben hier die Scheiterhaufen der Inquisition geflammt, in keinem Lande sind die Sklaven verhältnismäßig humaner behandelt worden. Selbst seine inneren Umstürze und Regierungsänderungen haben sich beinahe unblutig vollzogen. Der König und die zwei Kaiser, die sein Wille zur Selbständigkeit aus dem Lande drängte, haben es ohne jede Behelligung und darum ohne Haß verlassen. Selbst nach niedergeschlagenen Aufständen und Putschen haben seit Brasiliens Selbständigkeit die Anführer den Preis nicht mit ihrem Leben bezahlt. Wer immer dieses Volk regierte, war unbewußt genötigt, sich dieser inneren Konzilianz anzupassen; es ist kein Zufall, daß es – unter allen Ländern Amerikas Jahrzehnte lang die einzige Monarchie – als Kaiser den demokratischsten, den liberalsten aller gekrönten Regenten gehabt hat und heute, da es als Diktatur gilt, mehr individuelle Freiheit und Zufriedenheit kennt als die meisten unserer europäischen Länder. Darum beruht auf der Existenz Brasiliens, dessen Wille einzig auf friedlichen Aufbau gerichtet ist, eine unserer besten Hoffnungen auf eine zukünftige Zivilisierung und Befriedung unserer von Haß und Wahn verwüsteten Welt. Wo aber sittliche Kräfte am Werke sind, ist es unsere Aufgabe, diesen Willen zu bestärken. Wo wir in unserer verstörten Zeit noch Hoffnung auf neue Zukunft in neuen Zonen sehen, ist es unsere Pflicht, auf dieses Land, auf diese Möglichkeiten hinzuweisen.
Und darum schrieb ich dieses Buch.
Geschichte
Tausende und Tausende Jahre liegt das riesige brasilianische Land mit seinen dunkelgrünen, rauschenden Wäldern, seinen Bergen und Flüssen und dem rhythmisch anklingenden Meer unbekannt und namenlos. Am Abend des 22. April 1500 leuchten mit einemmal einige weiße Segel am Horizont; breitbäuchige, schwere Karavellen, das portugiesische Rotkreuz auf den Segeln, nahen heran, und am nächsten Tage [am 25. April] legen die ersten Boote an dem fremden Strande [im heutigen Porto Seguro, im sicheren Hafen] an.
Es ist die portugiesische Flotte unter dem Kommando des Pedro Álvarez Cabral, die im März 1500 von der Mündung des Tejo ausgefahren ist, um die unvergeßliche, von Camões in den ›Lusiaden‹ besungene Fahrt Vasco da Gamas, dieses »feito nunca feito« [dieser nie vollendeten Tat] rings um das Kap der Guten Hoffnung nach Indien zu wiederholen. Angeblich haben widrige Winde die Schiffe von Vasco da Gamas Wege längs der afrikanischen Küste so weit fortgetrieben zu dieser unbekannten Insel – denn Ilha da Vera Cruz [Insel vom »wahren Kreuz«] nennt man diese Küste zuerst, deren Ausdehnung man noch nicht ahnt. Die Entdeckung Brasiliens scheint also – sofern man die Reisen Vicente Jañez Pinzóns, der in die Nähe des Amazonenstromes kam, und die zweifelhafte Vespuccis nicht als Vorentdeckung rechnet – bloß durch eine absonderliche Fügung von Wind und Wellen Portugal und Pedro Álvarez Cabral zugefallen zu sein. Die Historiker sind freilich längst nicht mehr geneigt diesem »Zufall« Glauben zu schenken, denn Cabral führte den Piloten [Steuermann] Vasca da Gamas mit sich, der genau den nächsten Weg kannte, und die Fabel von den widrigen Winden wird hinfällig durch das Zeugnis des an Bord anwesenden Pedro Vaz de Caminha, der ausdrücklich bestätigt, sie seien vom Kap Verde weitergesegelt, »sem haver tempo forte ou contrário« [ohne scharfes oder schwaches Tempo]. Es muß also, da kein Sturm sie so weit nach Westen hinübertrieb, daß sie plötzlich statt am
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