Brasilien: Ein Land der Zukunft
Vespuccis, der, ein Jahr nach Cabral dort eintreffend, ausruft: »Wenn irgendwo auf Erden das irdische Paradies existiert, so kann es nicht weit von hier gelegen sein!« Die Einwohner, die den Entdeckern im Unschuldskleid der Nacktheit in den nächsten Tagen entgegentreten und ihre unbedeckten Körper »com tanta inocência como o rosto«, mit ebensoviel Unbefangenheit wie ihr Gesicht darbieten, bereiten ihnen freundlichen Empfang. Neugierig und friedlich drängen die Männer heran, aber insbesondere sind es die Frauen, die durch ihre Wohlgebautheit und (auch von allen späteren Chronisten dankbar gerühmte) rasche und wahllose Gefälligkeit die Seefahrer die Entbehrungen vieler Wochen vergessen lassen. Zu einer wirklichen Erforschung oder Besetzung des inneren Landes kommt es vorläufig noch nicht, denn Cabral muß nach Erfüllung seines geheimen Auftrags möglichst rasch an sein offizielles Ziel, nach Indien weiter. Am 2. Mai, nach einem Aufenthalt von im ganzen zehn Tagen, steuert er nach Afrika hinüber, nachdem er Gaspar de Lemos Befehl gegeben, mit einem Schiff die Küste nordwärts entlangzukreuzen und dann mit der Nachricht über das aufgefundene Land und einigen Proben seiner Früchte, Pflanzen und Tiere nach Lissabon zurückzukehren.
Die Meldung, daß die Flotte Cabrals dieses neue Land, sei es in Erfüllung geheimen Auftrages, sei es durch bloßen Zufall erreicht hat, wird im königlichen Palast wohlgefällig, aber ohne richtige Begeisterung aufgenommen. Man meldet sie in offiziellen Briefen an den König von Spanien weiter, um sich den Rechtstitel des Besitzes zu wahren, jedoch die Mitteilung, daß dies neue Land »sem ouro nem prata, nem nenhuma coisa de metal« [ohne Gold oder Silber oder sonst etwas aus Metall] sei, gibt dem Funde zunächst wenig Wert. Portugal hat in den letzten Jahrzehnten soviele Länder entdeckt und einen so gewaltigen Teil des Weltalls in Besitz genommen, daß die Aufnahmefähigkeit des kleinen Landes eigentlich völlig erschöpft ist. Der neue Seeweg nach Indien sichert ihm das Gewürzmonopol und damit allein schon unermeßlichen Reichtum; man weiß in Lissabon, daß in Calicut, in Malakka die seit Hunderten von Jahren sagenhaft gewordene Pracht an Edelsteinen, kostbaren Stoffen, Porzellan und Spezereien für einen kühnen Zugriff bereitliegt, und die Ungeduld, mit einem Ruck diese ganze Welt überlegener Kultur und orientalischer Pracht an sich zu reißen, treibt Portugal zu einer Anspannung des Wagemuts und des Heroismus, wie sie in der Weltgeschichte kaum ihresgleichen hat. Selbst die ›Lusiaden‹, dieses Heldengedicht, vermögen kaum dieses Abenteuer, diesen neuen Alexanderzug begreiflich zu machen, den eine Handvoll Menschen unternimmt, um mit einem Dutzend winziger Schiffe gleichzeitig drei Erdteile und noch dazu den ganzen unbekannten Ozean zu erobern. Denn das kleine arme Portugal, kaum zweihundert Jahre erst der arabischen Herrschaft entrungen, besitzt kein bares Geld, immer wenn er eine Flotte ausrüstet, muß der König im voraus den Ertrag Wechslern und Händlern verpfänden. Es hat außerdem nicht genug Soldaten, um gleichzeitig die Araber, die Inder, die Malaien, die Afrikaner, die Wilden zu bekriegen und an allen Orten der drei Erdteile Niederlassungen und Festungen zu errichten. Und doch, wie durch ein Wunder holt Portugal aus sich alle diese Kräfte heraus. Ritter, Bauern und, wie Columbus einmal ärgerlich klagt, sogar »Schneider« verlassen ihre Häuser, ihre Frauen, ihre Kinder, ihre Berufe und strömen aus dem ganzen Land zu den Häfen, und es schreckt sie nicht, daß nach [João de] Barros’ [1497–1570] berühmtem Wort »der Ozean das häufigste Grab der Portugiesen« wird. Denn das Wort Indien hat magische Macht. Der König weiß, ein Schiff, das von diesem Golkonda zurückkehrt, zahlt für zehn, die verlorengehen, ein Mann, der die Stürme, die Schiffbrüche, die Kämpfe, die Krankheiten übersteht, ist reich für sich und seine Nachfahren. Nun, da die Tür gesprengt ist zur Schatzkammer der damaligen Welt, will keiner in der »pequena casa« [in dem kleinen Haus] des Vaterlands zurückbleiben, und die Einhelligkeit dieses Willens gibt Portugal eine Ekstase der Kraft und des Muts, die für ein Jahrhundert das Unmögliche möglich, das Unwahrscheinliche zur Wahrheit macht.
In diesem Tumult der Leidenschaften wird ein so welthistorisches Geschehnis wie die Entdeckung Brasiliens kaum bemerkt, und nichts ist für die Geringschätzung dieser Tatsache
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