0984 - Griff aus dem Dunkel
Das galt auch für Johnny Conolly, den der Film ebenfalls begeisterte, obwohl er zu den Jungen gehörte, die in ihrem Leben schon häufig Unheimliches erlebt hatten. Aber das war verdrängt worden. Jetzt galt es, sich von Independence Day faszinieren zu lassen. Nichts anderes existierte auf der Welt…
Johnny war nicht allein ins Kino gegangen. Er war in Begleitung zweier Freunde. Klassenkameraden, die sich gut verstanden und eigentlich immer zu Scherzen aufgelegt waren.
Nicht hier im Kino.
Da konnten sie nur schauen und starren. Die Macht der Bilder ließ sie ihre Umwelt vergessen. Sie war wie ein Strom, der sich in ihre Seelen hineinfraß.
Bis Johnny etwas spürte.
Zunächst nahm er es kaum zur Kenntnis. Es war eine Berührung an der Schultern, schwach wie ein Luftzug, der weiter in die Höhe wanderte, bis sie sein Gesicht erreicht hatte und über die Wange hinwegstreifte.
Ein Luftzug - oder?
Der Junge war für einen Moment irritiert. Er hatte schon den rechten Arm gehoben, um ein vermutetes Insekt zu verscheuchen, da wechselte der Luftzug und erreicht plötzlich seine Haare.
Johnny zuckte zusammen. Er war jetzt hellwach und drehte den Kopf.
Johnny saß am Ende der achten Reihe und konnte in den breiten Seitengang hineinschauen, in dem er allerdings nichts sah. Nur eben die Düsternis, die an bestimmten Stellen vom schwachen Schein der Notbeleuchtung unterbrochen wurde.
Blödsinn, dachte er. Einbildung. Da ist niemand. Keiner will etwas von mir.
Er drehte den Kopf, um wieder auf die Leinwand zu schauen, als es zurückkehrte.
Auf einmal saß der Junge völlig regungslos. Etwas war unter sein Sweatshirt gekrochen. Heimlich wie eine Schlange. Und es krabbelte hoch zum Hals.
Finger?
Zumindest fühlte es sich wie Finger an, aber Johnny konnte es nicht glauben, weil er nichts sah. Keine Finger, keine Hände, er bemerkte nichts, es war einfach nicht zu erkennen. Nur diese fremde Hand spürte er auf der Haut.
Er schauderte.
Auf einmal war der Film vergessen. Johnny interessierte sich nicht mehr für das Geschehen auf der Leinwand. Er selbst war jetzt wichtig. Nur er zählte in dieser Situation und das, was mit ihm geschah, wobei Johnny nicht in der Lage war, für die Vorfälle eine Erklärung zu finden. Damit kam er nicht zurecht.
Er blieb sitzen, ohne auch nur einmal zu zucken. Die Arme hatte er ausgestreckt; mit den Handballen stemmte er sich auf dem Sitz ab. Er starrte vor sich hin, aber er sah nichts, weil er sich nur auf das eine konzentrieren konnte.
Etwas Unheimliches und Unglaubliches passierte auf der Leinwand. Die Wirklichkeit aber war für Johnny viel schlimmer. Sie hatte einen Panzer um ihn herum gelegt, der auch einen Namen hatte.
Angst!
Johnny spürte diese schreckliche Angst wie einen zähen Sirup, der entgegen aller Gravitationsgesetze von seinem Kopf aus nach unten floß Er war nicht mehr Herr seiner Sinne. Etwas war aus dem Unsichtbaren an ihn herangekrochen, hatte ihn berührt, aber er sah nichts, er konnte es nicht spüren.
Eine Hand lag plötzlich auf seinem Nacken. Hart und zugleich kalt, als hätten die Finger zuvor in einem Panzer mit Eis gelegen.
Johnny schluckte. Er riß den Mund weit auf. Er wollte etwas sagen, aber er war nicht fähig, auch nur ein Wort hervorzubringen. Die Hand in seinem Nacken blieb. Sie hatte sich bewegt und dann brutal zugepackt.
Johnny verzog das Gesicht. Er beugte sich automatisch nach vorn und schielte dabei zur linken Seite hin, wo seine besten Freunde saßen.
Sie hießen Tim und Mike. Doch sie sahen und hörten nichts, was um sie herum vorging. Der Film war einfach zu stark. Tim kaute, ohne zu essen.
Seine Augen waren groß geworden. Er konnte den Blick einfach nicht von der Leinwand wenden.
Mike sah Johnny nicht, da Tim ihn mit seinem Körper verdeckte. Er konnte sich vorstellen, daß es ihm nicht anders erging.
Nur er spürte den Druck. Der verdammte Griff aus dem Unsichtbaren, und er atmete so heftig, daß es sich schon wie ein Stöhnen anhörte, aber von keinem anderen registriert wurde.
Johnny ging es schlecht. Die andere Kraft drückte ihn nach vorn.
Plötzlich wollte er weg. Er konnte in dieser Haltung nicht länger bleiben.
Der Wunsch war auf einmal da. Er fragte sich, ob er es sich tatsächlich so wünschte oder ob ihn die andere Kraft lenkte und seine Welt im Kopf schon kontrollierte.
Es war auch eine zweite Hand da. Sie berührte die rechte Schulter und drückte sie auch in diese Richtung, dem Gang entgegen. So wußte Johnny
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