Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta
Staub wischt, kriegt die ganze Wohnung bald einen Hauch von Grauheit und Schmuddeligkeit.
Außerdem war es kalt. Ich hatte keine Lust zu heizen. Am Vormittag wärmte die Sonne, und am Nachmittag schaltete ich den elektrischen Ofen ein. Im Wohnzimmer wurde es dann einigermaßen warm, aber die anderen Räume waren kalt und ungemütlich.
Jetzt, später, schäme ich mich. Wozu hätte ich all diese Tage verwenden können! Ich hätte putzen und waschen und das Haus in einen tadellosen Zustand bringen können. Ich hätte viele Stunden am Tag Französisch lernen können, hätte Sacré Cœur und La Madeleine besuchen und in eine Menge Museen gehen können, Zoologische Gärten besuchen, die schönen Parks ansehen, auf den Eiffelturm oder nach Versailles fahren.
Nein, nicht nach Versailles, dahin wollte ich nur mit Vati oder Ellen gehen.
Aber ich tat gar nichts. Ich bummelte die Straßen entlang. Ich fuhr Metro, kaufte ein bißchen Essen und hatte Mitleid mit mir selbst.
Da kam ein Brief von Vati. Ihm ging es wunderbar, er war schon tüchtig an seiner Arbeit, die herrlich und interessant war. „Und wie geht es Euch, wie gefällt es Ellen in Colombes? Was hat sie Dir nun von Paris gezeigt?“
O weh, diese Frage war schlimm. Nun mußte ich ja Vati antworten, und ich wollte so furchtbar ungern lügen. Unter allen Umständen würde er rasen vor Wut, wenn er die Wahrheit erführe. Und wenn ich dann obendrein gelogen hätte - ja dann wagte ich kaum, mir auszumalen, was passieren würde!
So schrieb ich nur eine Karte, aus Angst, daß ich mich in einem Brief verraten oder lügen würde.
Zwischen jedem Satz kaute ich an dem Kugelschreiber.
„Mein allerliebster Paps,
tausend Dank für Deinen Brief. Wie fein, daß Du so viel Freude an Deiner Arbeit hast. Hier geht alles ausgezeichnet, das Wetter ist so strahlend, wie man es sich nur wünschen kann. Und Paris schöner denn je. Denk nur, die Krokusse gucken schon in all den Parks hervor, und an manchen Stellen gibt es sogar kleine Veilchen. Ich kann Dich von den Tauben grüßen, die ganz begeistert von allen Brotresten sind. Du, Paps, warum hast Du mir nie erzählt, daß man Pfannkuchen in kleinen Buden auf dem Gehsteig kaufen kann? Du weißt doch, wie gern ich sie esse. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie gut sie schmecken, und außerdem sind sie billig. Schreib bald wieder und erzähl mir von Deiner Arbeit. - Tausend Millionen Grüße von uns aus Colombes.“
Daß ich mit „uns“ die Katzen und mich meinte, war vorläufig mein privates Geheimnis. Wenn Vati glaubte, daß ich damit Ellen und mich meinte, so war das seine Sache.
Am nächsten Tag kaufte ich ein Kilo Erbsen und fuhr damit zu den Tuilerien. Tauben füttern machte Spaß, und auf diese Weise konnte ich sicher ein oder zwei Stunden totschlagen.
Die Sonne strahlte auch heute. Sicherlich würde der Mantel zu warm werden. Ich zog deshalb mein Kostüm mit der hübschen weißen Bluse an.
Es war allerdings kühler, als ich gedacht hatte. Aber wenn ich eine Bank im Sonnenschein fand, würde es schon warm genug sein.
So war ich jetzt wieder in den Tuilerien, aber dieses Mal war alles viel schöner als das erste Mal, weil schon Blumen hervorlugten
und weil die Bäume einen kleinen Ansatz von Grün zeigten.
Daß es in Frankreich so viel Tauben gab! Sie saßen aufeinander, saßen in Reihen, schwirrten um mich herum, mopsten die Erbsen gleich aus der Tüte und zerrissen das Papier, diese gierigen Geschöpfe!
Oh, wie war das schön! Morgen wollte ich mindestens drei Tüten kaufen, zum Glück waren die Erbsen billig.
Nein, solche Vielfraße! Alles war im Nu aufgefuttert, ich saß mit leeren Händen und zerknittertem Papier da. Aber ich konnte mehr holen. Es war ja gar nicht weit zu dem Magasin Louvre.
Dort gab es bestimmt eine Lebensmittelabteilung.
Aber es kam anders!
Am Ausgang kutschierten wieder Kinder in einem Eselswagen herum, und nicht weit davon standen angebunden vier oder fünf kleine Esel.
Ich liebe Pferde sehr, und Esel gehören ja zur gleichen Familie. Ein kleiner Esel rieb seinen Kopf an meiner Schulter. Das rührte mich, und ich klopfte ihm das weiche Fell.
Ich hatte nicht gesehen, daß der Eselsführer mit einem Wagen voll kleinen Passagieren zurückgekommen war. Ich hörte nur jemand rufen. Erschrocken blickte ich auf. Kein Zweifel, ich war gemeint!
„Excusez, Monsieur, je ne comprends pas français“, sagte ich. Dieser Satz kam mir unglaublich fließend von den Lippen. Er sah mich an und sah
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