Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta
schon nicht mehr so böse aus.
„Anglaise?“, fragte er.
„Non, Allemande“, antwortete ich.
„Sie dürfen den Eseln keinen Zucker geben“, sagte der Eselstreiber in einwandfreiem Deutsch.
Da lächelte ich überglücklich, erstens weil ich ein gutes Gewissen hatte und zweitens weil ich meine Muttersprache hörte.
„Ich habe ihnen keinen Zucker gegeben“, sagte ich. „Ich habe sie nur gestreichelt. Besonders den kleinen hellgrauen hier, dem ich anscheinend gefalle. Ich habe Esel und Pferde so furchtbar gern!“
Der Eselstreiber lächelte. „Entschuldigen Sie, daß ich so grob war“, sagte er. „Ich muß nämlich wie ein Schießhund aufpassen, daß die armen Tiere nicht mit Zucker vollgestopft werden. Sie könnten davon krank werden.“
„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen“, lachte ich. „Ich verstand nämlich kein Wort. Sind es Ihre Esel?“
„Nein, eigentlich nicht, aber ich bin verantwortlich für sie. Es ist
mein Ferienjob.“
„Ach, jetzt verstehe ich!“
„Was verstehen Sie?“
„Sie sprechen so ausgezeichnet gut Deutsch. Sicher sind Sie Student, haben in Deutschland studiert und haben diesen Job während der Sommerferien.“
„Ziemlich gut geraten“, lächelte der Eselstreiber. „Und jetzt will ich auch raten: Deutsches junges Mädchen, das gern nach Paris wollte, hat in einer französischen Familie einen Job als Kindermädchen angenommen und heute seinen freien Tag. Stimmt das?“
„Ja“, lachte ich. „Eines stimmt. Ich bin ein deutsches junges Mädchen, alles andere ist vollkommen verkehrt.“
„Tatsächlich? Verzeihung, mich geht es natürlich nichts an. Es war nur, weil Sie.“
„Nun bitten Sie schon wieder ohne den geringsten Grund um Entschuldigung. Viel eher muß ich mich entschuldigen, weil ich hier stehe und Sie aufhalte.“
„Das tun Sie gar nicht. Es ist gerade Geschäftspause, Lunchzeit. Da sind die reitlustigen Kinder etwas seltener. Es macht Spaß, wieder deutsch zu sprechen.“
„Wem sagen Sie das? Ich war ja auf dem besten Wege, meine Muttersprache zu vergessen!“
„Nun sagen Sie, wenn Sie nicht Französisch verstehen und Deutsch nicht sprechen, was sprechen Sie dann eigentlich so für täglich?“
„Fingersprache“, lachte ich.
Im selben Augenblick wurde mir klar, daß ich seit vier Tagen nicht gelacht hatte. in den vier Tagen, seit Vati abgereist war. „Fingersprache in den Läden, und sonst rede ich überhaupt nichts.“ „Ein ziemlich stilles Dasein“, meinte der Student.
„Das stimmt, ich bin völlig allein, in einem ganzen Haus, ganz allein in Frankreich.“
„Entschuldigen Sie, aber falls Ihre Eltern das erlaubt haben - “ „Ssss, Vati hat keine Ahnung, und eine Mutter habe ich nicht.“ „Ja, aber ich begreife nicht - “ Er stotterte und errötete.
„Was begreifen Sie nicht?“
„Nun, das geht mich wirklich nichts an. Entschuldigen Sie vielmals. So, nun bitte ich schon das dritte Mal um Entschuldigung.“ „Was wollten Sie mich denn fragen?“
„Ich wollte gar nichts fragen. Ich meinte nur, ob es Ihnen recht ist, wenn ich hier mein Butterbrot esse. Ich muß die Zeit ausnützen, solange keine Kunden kommen.“
„Guten Appetit, essen Sie nur.“
Er öffnete ein großes Butterbrotpapier. Es war richtiges Butterbrot, Scheiben mit Aufschnitt nach deutscher Art. Ordentliches Schwarzbrot war es. Er sah vielleicht meinen Blick, denn er lachte und hielt mir das Paket hin.
„Möchten Sie ein Stück? Mit echter deutscher Wurst?“
„Ja, aber ich will Sie nicht berauben.“
„Oh, ich habe massenhaft. Mutter macht mir immer viel zuviel zurecht. Langen Sie ruhig zu. Ich habe übrigens zu Hause die Butterbrote eingeführt. Hier kennt man das nicht.“
Ich nahm also ein Stück. Es schmeckte großartig. Vor allen Dingen war es gemütlich, beim Essen wieder einmal Gesellschaft zu haben.
„Sie wollen aber doch nicht sagen, daß Sie hier ganz allein sind?“ fragte er ungläubig.
„Doch“, sagte ich, „Sie sind der erste Mensch, mit dem ich seit vier Tagen rede, und ich glaube beinahe, daß Sie mir meinen Verstand gerettet haben.“
„Na, jetzt bin ich aber wirklich neugierig. Im übrigen, wenn wir schon zusammen auf einer Bank sitzen und Butterbrote essen, könnten wir uns eigentlich verraten, wie wir heißen. Ich heiße Pierre Henriques.“
„Und ich heiße Britta Dieters.“
„Britta, dann sind Sie bestimmt aus Norddeutschland.“
„Ja, und zwar vom allernördlichsten Ende“, sagte ich, „ich bin von
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