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Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta

Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta

Titel: Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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mutterseelenallein in einem fremden Land? War es Wirklichkeit? Träumte ich? Nein, ich war sicher krank und phantasierte. Ja, natürlich, ich hatte ja auch phantasiert, als ich Scharlach hatte. Ich hatte damals geträumt, daß ich im Zimmer des Leuchtturmwärters lag und daß ich mich beeilen mußte, in den Leuchtturm hinaufzugehen, weil ich ihn allein zu bewachen hatte. Sicher war es jetzt genauso. Ich lag wohl zu Hause krank in meinem Bett, und gleich würde Omi mit einer Haferschleimsuppe kommen und meinen verrückten Traum verjagen. Allein in einem Haus in Paris. was für ein Unsinn! Uff, wenn nur Omi bald käme!
    Da plumpste etwas Weiches und Warmes in meinen Schoß. Ein rundes, molliges Katzenköpfchen kuschelte sich in meinen Arm.
    „Rajah“, flüsterte ich.
    Rajah begann zu schnurren.
    „Rajah“, sagte ich wieder etwas lauter.
    Rajah schnurrte und schnurrte und trippelte mit gespreizten Krallen gegen meinen Mantel.
    Rajah war Wirklichkeit. Aber wenn Rajah Wirklichkeit war, so war ja alles andere auch Wirklichkeit. Ich war allein, allein im Haus, allein in einer fremden Stadt, allein in einem fremden Land, allein, allein auf unbestimmte Zeit.
    Nein. Nicht allein. Ich konnte an Vati telegrafieren. Selbstverständlich. Gleich mußte ich telegrafieren. Das Telegramm würde auf ihn warten, wenn er in Südfrankreich ankam. Und Vati würde mit dem nächsten Zug zurückkommen.
    Vati würde mich nicht in Colombes allein lassen. Nicht eine Minute länger als nötig. Er würde seine Arbeit aufgeben,. diese Arbeit, über die er so glücklich war, die ihm so unendlich viel bedeutete. Ich hatte ihm ja versprochen zu telegrafieren, wenn irgend etwas fehlginge.
    Stopp - hatte ich es wirklich versprochen? Ich erinnerte mich genau daran, was Vater gesagt und was ich geantwortet hatte: „Dann telegrafierst du sofort, verstehst du?“ hatte Vati gesagt. Und ich. hatte ich etwa geantwortet: - „Ja, ja, mein Ehrenwort“ oder „Das verspreche ich dir“? Nein, ich hatte lediglich gesagt: „Ich verstehe!“
    Ich saß immer noch da. im Mantel und mit Rajah auf dem Schoß. Das Telegramm hielt ich in der Hand.
    Dann glitten meine Augen zu dem Frühstückstisch, dem schön gedeckten Tisch mit Blumen, Pampelmusen, Butter, Marmelade in kleinen reizenden Schalen, dem hübschesten Tisch, den ich in meinem Leben gedeckt hatte.
    Diphtherie, wie lange dauert eine Diphtherie? Konnte Ellen vielleicht in einer Woche kommen? Oder mußte sie vielleicht einen Monat lang liegen?
    Dann fiel ich zusammen wie ein Häufchen Unglück. Der Kloß in meinem Hals wuchs und wuchs, jetzt löste er sich in Tränen auf, die über den Mantel und den weichen Pelz von Rajah herunterkullerten.
    Natürlich mußte ich telegrafieren. Vati würde mir nie verzeihen, wenn ich es nicht tat. Er würde außer sich vor Wut werden, falls er erfuhr, daß ich ganz mutterseelenallein in einem Lande war, dessen Sprache ich nicht einmal beherrschte, mutterseelenallein in einem Haus, allein, wenn mir etwas zustieße. Er würde den ganzen wunderbaren Auftrag bedenkenlos opfern - Vati war Künstler, jawohl. Aber vor allen Dingen war er Vater.
    Ja, ich mußte ihm telegrafieren.
    Ich trocknete die Augen und wusch das Gesicht, stellte den Katzen Essen hin und ging schnell weg. Ich machte alles schnell. Ich wollte weg, ich konnte das leere Haus nicht ertragen, ich wollte hinaus auf die Straße, in die Stadt, ich wollte Menschen sehen, wollte Stimmen hören, wollte nicht so schrecklich allein sein.
    Und vor allen Dingen wollte ich telegrafieren.
    Mindestens dreimal sah ich nach, ob ich die Schlüssel in der Tasche hatte. Nicht auszudenken, wenn ich sie vergaß, die Tür mit einem Schlag zumachte und ausgeschlossen wäre.
    Schlüssel, Geld, Fahrkarte. alles in Ordnung.
    Bis zum Telegrafenamt waren es ungefähr zehn Minuten. Erst ging ich flott und zielbewußt, dann langsamer. Ich mußte das Telegramm in meinem Kopf aufsetzen.
    „Absage von Ellen wegen Diphtherie, was soll ich tun?“
    Nein, lieber: „Ellen im Krankenhaus, kann vorläufig nicht kommen.“ Ich war dabei, eine dritte Version aufzusetzen, als ich am Telegrafenamt war.
    Und dann entdeckte ich, daß drinnen in mir etwas war — es muß das sein, was man Unterbewußtsein nennt, etwas, das nicht zum fertigen Gedanken geworden war, das nicht durchs Gehirn ging. es war so sonderbar, daß ich es nicht beschreiben kann. Ich stand vor dem Schreibpult, füllte eine Telegrammformular aus und hatte das seltsame Gefühl, in zwei

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