Brautflug
Kinder strafen würde. Die ganze Nachbarschaft tuschelte über sie. Sie musste so schnell wie möglich verschwinden.
»Würde es Ihnen gefallen, bei einem Flugrennen mitzumachen?«, fragte der Beamte für Auswandererangelegenheiten. Mit einer schwungvollen Bewegung legte er seine Zigarre in den Aschenbecher, lehnte sich zu ihr herüber und ergriff ihre Hand. Es war offensichtlich, dass es um etwas Besonderes ging. »Anstatt sechs Wochen mit dem Schiff unterwegs zu sein.«
Sie traute sich nicht, ihre Hand zurückzuziehen. Ja, nickte sie, natürlich.
Es ging darum, erklärte der Mann, dass die Provinz Canterbury in Neuseeland hundertjähriges Bestehen feierte, daher also auch die Hauptstadt Christchurch, und dass die Stadt dies mit einem Flugrennen feiern wollte, dem London-Christchurch-Race. Die KLM machte in der Handicapklasse mit, mit einem Frachtflugzeug, das für diesen Zweck zum Passagierflugzeug umgebaut worden war. Es konnten vierundsechzig Menschen mitfliegen, jedem, der sich jetzt als Auswanderer anmeldete, wurde der Plan unterbreitet, die Liste war beinahe komplett. Es waren überwiegend junge Frauen wie sie, auf dem Weg zu ihren Verlobten, die vorausgefahren waren, um Arbeit und Unterkunft zu suchen.
Ein Flugzeug voll mit Bräuten, sagte der Beamte mit einem Augenzwinkern.
Auserwählte, nannte er sie, weil ihre Reise höchstens zwei Tage dauern würde und sie im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen würden. Zum ersten Mal überhaupt würden Passagiere über eine solch große Entfernung auf so schnelle Weise transportiert werden. Sie war eine Auserwählte, er streichelte mit seinen feuchten, schwitzigen Fingern ihre Hand.
Verdammt und auserwählt, es gab viel um diesen Wettkampf herum zu tun; seit August waren die Zeitungen voll davon, fast täglich bekam sie Post mit offiziellen Formularen und Ratschlägen. Sie spürte, wie um sie herum die Missbilligung nun Bewunderung und Stolz wich, und sie atmete erleichtert auf. Ihre kleinen Brüder juchzten bei jedem Bericht begeistert. Was für eine Vorstellung, dass einer von ihnen – sie könnten es ebenso gut selbst sein – in ein echtes Flugzeug steigen und neunzehntausend Kilometer über die Erde fliegen würde! Sie schnitten alles aus, was mit dem Flugrennen zu tun hatte, und klebten es in ein Heft. Sie spekulierten über die Route, die bis zum letzten Tag ein Geheimnis bleiben sollte, und über die Verschalung, die Douglas DC - 6 A Liftmaster, »Dr ir. M. H. Damme« oder auch »Fliegender Holländer« genannt, sie sprachen die Namen so oft es ging aus und verhaspelten sich dabei mit den Silben. Dies alles beherrschte ihre prahlerischen Kindergespräche – nicht etwa, dass sie wegflog, um nie mehr zurückzukehren, sondern einzig und allein der Wettstreit.
»Verschalung« war ihr Wort, ein Jungenwort.
In ihr Dorf kamen ein Journalist und ein Fotograf, um die Auswanderin Ada van Holland – mit ihren achtzehn Jahren die Jüngste an Bord – zu interviewen. Der Fotograf, ein großer Mann mit pockennarbigem Gesicht und einem riesigen Adamsapfel, klappte sein Stativ auseinander und sah sie ununterbrochen an.
»Wir müssen wahrhaftig nicht nach Hollywood fahren, um ein Filmstargesicht zu finden.«
Ihre Mutter hüstelte. Ada wagte es nicht, sich während der Aufnahme zu bewegen. Am gleichen Abend versuchte sie, im Badezimmerspiegel zu sehen, was der Fotograf gemeint hatte. Unerwartet öffnete ihre Mutter die Zimmertür. Sie, die so oft die Gedanken ihrer Tochter lesen konnte, wusste, dass sie von den Worten des Fotografen geschmeichelt war. Sie griff Adas Kinn, sie musste dabei keine Kraft verwenden, da es undenkbar war, dass sie den Kopf zurückziehen würde. »Kind«, sagte sie, »du hast ein vollkommen alltägliches Gesicht, und das muss auch an Feiertagen für dich ausreichen.«
Ada nickte, wütend vor Scham. Das Filmstargesicht löste sich auf und verschwand.
Ende September fiel der letzte Brief von der KLM auf die blank geschrubbten Fliesen des schmalen Eingangs. Er wurde ihr am selben Abend bei Tisch, nach dem Gebet, überreicht. Sie sollte ihn vorlesen.
»Der Tag der Abfahrt ins Land Ihrer Zukunft nähert sich mit großen Schritten.«
Ihr schnürte sich die Kehle zusammen.
»Bald werden Sie in Amsterdam an Bord gehen, um sich endlich auf den Weg in die große Weltstadt London zu machen, von wo aus dann Ihr eigentlicher Abflug nach Neuseeland stattfinden wird.«
Da man ja schließlich über britischen Grund und
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