Brautflug
neben ihr her. Ihr zog sich die Kehle zusammen. Sie wollte schreien, doch das könnte unhöflich sein, denn sie wusste schließlich überhaupt nicht, was er wollte. Und doch entwich ihr ein kleiner Schrei. Die Hand blieb liegen, und der Mann gab keinen Ton von sich. Schweigend fuhren sie zusammen weiter, über ihre Lenker gebeugt keuchten sie gegen den Wind an, ein unbestimmtes Gefühl der Zusammengehörigkeit. »Hee!«, rief sie plötzlich und hörte selbst, wie ermattet das klang. Aber danach wrang sich etwas mehr Ton aus ihrer Kehle. » HEE !«
Ohne ein Wort zu sagen, nahm der Mann seine Hand von ihrem Bein und fuhr schneller. Minutenlang fuhr er noch vor ihr her, und sie behielt ihn ängstlich, mit klopfendem Herzen, im Auge. Auf beiden Seiten des Weges kletterten dunkle, gestaltlose Journalisten die Böschung herauf. Der Preis, den Sie für Ihren Ruhm bezahlen. Sie schluchzte vor sich hin, auch noch, als endlich die Häuser auftauchten und der Mann rechts abbog und im Dunkeln verschwand.
Nach dem Überqueren des Kirchplatzes, während sie schnell den unbeleuchteten Weg hinter der Kirche entlangradelte, war sie eine kurze Zeit im Windschatten und konnte Atem schöpfen. Die holprigen Steine ließen ihr die Zähne klappern, sie biss sie fest aufeinander. Auf der kleinen, schmalen Brücke über die Schleuse musste sie absteigen, so stark zerrte der Seitenwind an ihrem Fahrrad, und die letzten hundert Meter bis nach Hause legte sie laufend zurück. In der Küche brannte Licht. Sie stellte ihr Rad in den Schuppen und duckte sich vor einem Spinnennetz. Es würde Winter werden. Ohne sie. Drinnen durfte der Kachelofen noch nicht angemacht werden, da die Kohlen so teuer waren. Die Feuchtigkeit würde, wie auch in all den anderen Jahren, weiter die Tapeten wellen. Aber Neuseeland war so weit weg. Sie wischte sich die Wangen ab und lief zur Küchentür.
Am siebten Oktober war es so weit. Ihre Eltern brachten sie nach Schiphol, im Bus war ihr schlecht geworden. Ihre Mutter rannte mit ihr durch die überfüllte, warme Halle zur Damentoilette. Würgend hing sie über der Schüssel, doch es kam nichts.
»So schlimm ist es gar nicht. Das geht vorbei. Du musst dir denken …«
Ihre Mutter kramte ein Taschentuch aus der Tasche mit den belegten Broten hervor. Ada lief zum Wasserhahn und sah sich selbst im Spiegel. Das Gesicht war ihr fremd, tränenüberströmt und verweint, das dicke blonde Haar, nach einer Nacht in Papilloten, in starren Locken. Sie drehte sich zu ihrer Mutter um.
»Was? Was soll ich denken?«
Das Taschentuch hatte den Geruch der Butterbrote angenommen, endlich konnte sie sich übergeben. Sie spürte die Hand ihrer Mutter auf ihrem Rücken.
»Die Liebe wird kommen. Sie muss wachsen. Deine Aufgabe ist es, eine gute Ehefrau zu sein. Mit Gottes Hilfe.«
Das wusste sie doch. Das war ihr alles bekannt.
»Ihr werdet ein Fleisch werden. Dein Vater und ich waren … Wir hatten …«
Sie zog die Klospülung, wollte nichts von ihrem Vater und ihrer Mutter als ein Fleisch hören.
»Viel beten … die Kirche … und Kinder. Das wird dir erst einmal reichen. Der Rest … kommt.«
Stille, nur das Wasser. Die Hand zog sich zurück. Ihr Magen entspannte sich.
»Nun«, sagte ihr Vater später, als die Namen aufgerufen wurden und alle Abschied nehmen mussten, »es ist Zeit.«
Ihr Kuss landete irgendwo schräg an seinem Hals, sie roch den Tabak, fühlte seine rauen Bartstoppeln. Er legte seine Arbeiterhand um ihren Kinderkopf, sodass sie ihr Gleichgewicht verlor, er hatte keine Kontrolle über seine eigene Kraft.
»Alles Gute dann.«
Er schnaubte und ließ sie los. So standen sie sich gegenüber, Vater und Tochter, die Schande zwischen ihnen.
»Folg dem richtigen Weg. Dem schmalen Weg.«
Sie hatte nie etwas anderes vorgehabt. Der Kuss ihrer Mutter war inniger, ein Judaskuss. Die Umarmung dauerte ewig, sie ließ es über sich ergehen.
»Sei Derk eine gute Frau. Und eine gute Mutter für seine Kinder.«
Sie roch den Speichel ihrer Mutter und wischte sich, als sie zum Flugzeug lief, heimlich die Wange ab. Einen Moment lang schien es, als würde sie elektrisch aufgeladen, sieh nur, ich gehe tatsächlich. Ein Bungalow mit großen Fenstern und einem sonnigen Garten. Erwachsen geht sie durch die hellen Zimmer, die gute Frau von Derk, die gute Mutter seiner Kinder, ihr weiter Seidenrock umspielt anmutig ihre Waden, vielleicht trägt sie sogar Schuhe mit hohen Absätzen, warum nicht, auf einmal ist alles
Weitere Kostenlose Bücher