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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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Boden sprach, erschien es der KLM besser, sich in ihrer zukünftigen Verhandlungssprache an sie zu richten. Von da an ging der Brief auf Englisch weiter. Auf drei Seiten wurde genau das Programm erklärt, aber Ada erkannte nur die Worte England, Holland, London, New Zealand und Hotel. Sie würde nicht das Geringste verstehen. Sie schwieg, blätterte mit brennenden Augen durch die Seiten und tat, als würde sie nachdenken. Sie versuchte Zeit zu schinden, sie kämpfte.
    Ihr Vater unterbrach die Stille, er schob seinen Stuhl über den Holzboden zurück, stand auf und nahm die Bibel vom Kamin. Es war nicht mehr viel Zeit.
    »Du solltest das Fräulein fragen.«
     
    Im Haus des Fräuleins roch es nach alten Leuten. Ada durfte sich auf den geraden Stuhl setzen. Das Fräulein setzte sich ihr gegenüber in einen niedrigen Lehnstuhl und fing in aller Ruhe an, den Brief zu lesen. Die Schande erfüllte das kleine Zimmer, darüber musste kein Wort verloren werden. Nur das Ticken der Pendeluhr war zu hören. Ada starrte auf den Kupferstich über dem Kamin, ein Totenkopf, der einen aus hohlen Löchern heraus anstarrte. Näherte man sich dem Bild, dann schien die Zeichnung eine junge, frivol gekleidete Frau darzustellen, die vor dem Spiegel ihres luxuriösen Frisiertisches saß. Es beunruhigte sie, dass sie sich von dieser Szene besonders angesprochen fühlte, und zwang sich daher, auf den Schädel zu gucken.
    »Nun ja …«, murmelte das Fräulein. Die KLM würde alles dafür tun, den kurzen Aufenthalt in London unvergesslich zu machen.
    »Aber wenn man kein Englisch kann?«
    Das Fräulein schwieg, ohne von dem Brief aufzusehen, so wie sie das in der Schule auch immer getan hatte, sodass das Kind, das es gewagt hatte, etwas zu sagen, erschrocken den Mund hielt und mit hochroten Wangen auf die unumgängliche Rüge wartete. Ada murmelte eine Entschuldigung, doch das Fräulein ließ die Stille fachgemäß etwas andauern. Dann räusperte sie sich und schob ihre Brille zurück. Nach der Landung in Heathrow würden die Passagiere eine Viertelstunde lang Zeit bekommen, um sich frisch zu machen, für Puder und Lippenstift, so stand es dort. Ada sah auf den alten, missbilligenden Mund. Im Schlafzimmer einer ihrer Auftraggeberinnen hatte sie einmal solch eine goldfarbene Hülle stehen sehen. Sie hatte sie aufgeschoben, an deren Inhalt gerochen und ihn dann – was mach ich nur, was mach ich nur – auf ihre Lippen geschmiert. Ungeschickt und sterbensbang, dass der Stab durchbrechen würde, denn er war schräg abgeschliffen, bis auf ein feines Pünktchen sündigen Rotes. Das Mädchen, das sie aus dem Spiegel heraus angeschaut hatte, ließ ihr die Beine schwer werden. Sie war von den Indianern an einen Baum gebunden, ihre Brüste wölbten sich zwischen den Fesseln hervor. So fand ihr Held sie. Auf der Stelle fing ihr Herz an zu wummern, weil Gott alles sieht, und sie meinte, die Haustür zu hören. Sie wischte ihren Mund an der Innenseite ihres Rockes ab, ein Fleck, der nie mehr herausgehen sollte. Zu Hause hatte ihn niemand bemerkt, weil sie sich, seit ihre Mutter Arthrose hatte, selbst um die Wäsche kümmerte, aber der Fleck blieb, wie eine Warnung.
    Das Übersetzen schien für das Fräulein nicht ganz einfach zu sein. Ada war warm, aber sie traute sich nicht zu fragen, ob man ein Fenster öffnen dürfte. Wenn sie sich nur beeilen würde.
    »Es wird nicht mehr lange dauern«, las das Fräulein, »bis Sie von Journalisten mit Fragen zu Ihrem zukünftigen Leben im fernen Neuseeland überfallen werden. Diese Leute müssen ihre Arbeit erledigen, seien Sie also nicht beleidigt, wenn die Fragen manchmal etwas persönlich wirken. Denken Sie immer daran: Sie machen Schlagzeilen, und das ist der Preis, den Sie für diesen Ruhm bezahlen.« Der graue Kopf schüttelte sich kaum merklich, sodass Ada ihre Aufregung über diese Zeilen für sich behielt.
    Auf dem Rad nach Hause wiederholte sie im Kopf das Programm. Es stürmte, und auf dem Deich hatte sie Gegenwind. Auf dem Deich hatte man immer Gegenwind. Sie trat heftig in die Pedale, denn es war bereits spät und dunkel, und die ganze Zeit fuhr jemand auf dem Rad dicht hinter ihr. An der großen Kurve schaute sie sich um und sah eine formlose Gestalt mit einer dicken Jacke und einem fleischigen Gesicht. Als würde er ihren Blick als ein Zeichen auffassen, holte er sie nun ein. Er nickte ihr zu. Sie nickte zurück. Dann legte er eine schwere Hand auf ihren Oberschenkel und radelte im selben Tempo

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