Brautflug
möglich, sie klackern herrlich auf den Fliesen ihrer breiten Eingangstreppe, jemand hebt diesen Rock, sie ist glücklich, weil Derk und sie jetzt Mann und Frau sind und in einem Land wohnen, in dem immer die Sonne scheint. Zu Hause im Atlas hat sie Bilder von Neuseeland angeschaut, mit Seen und Bergen und Wäldern, sie hat über Volk und Klima gelesen, dass es auf der Nordinsel warm war, fast tropisch. In Auckland blühen das ganze Jahr hindurch die Rosen, diesen Satz hatte sie behalten. Zu Hause beschlugen die Fenster, doch sie war auf dem Weg in den ewigen Frühling.
Sie drängte sich zwischen die Auserwählten. Der Berichterstatter des
Polygoon Journaal
machte seinem Kameramann ein Zeichen und hob sein Mikrophon. »Überall um mich herum sehe ich frohe Gesichter und erwartungsvoll glänzende Augen …«
Übermütig vom Freiheitsgefühl versuchte sie, ein Filmstarlächeln hervorzuzaubern. Es gelang ihr außerordentlich gut, die erwarteten Winkbewegungen zu machen und vor den Fotografen ein breites
Cheese
zu zeigen, eine Reihe von Gabardinemänteln mit Kameras um den Hals, cheese, immer wieder, genau wie alle anderen Frauen um sie herum. Es war tatsächlich auffallend, als hätte die KLM danach ihre Wahl getroffen: ein paar verheiratete Paare, ein Bruder und eine Schwester, eine Gruppe von Journalisten und ein einsamer junger Mann, ansonsten nichts als Mädchen in allen Sorten und Größen, mit Taschen und Jacken, strahlend und kichernd, mit starren Locken, Bräute auf dem Weg zu ihren Verlobten, ein Flugzeug voll roter Wangen, cheese!
»Auf der Flucht vor Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit erwarten sie, dass sie es um hundert Prozent besser haben werden.«
Während der niederländischen Nationalhymne konnte sie ihre Eltern zwischen den Menschen auf der Terrasse nicht entdecken.
Dem Vaterland getreu bleib’ ich bis in den Tod. Sie sang mit, suchte dabei mit gehetztem Blick die Zuschauermenge ab, es konnte doch nicht sein, dass sie schon weg waren.
»… werden diese jungen Menschen nun nicht von Zweifeln übermannt? Was lassen sie alles zurück? Wie groß ist die Chance, dass sie ihre geliebte Familie jemals wiedersehen werden? Neuseeland ist so weit weg, und die Reise mit dem Schiff lang und teuer. Nein, dies könnte tatsächlich das letzte Mal sein, dass sie Vater und Mutter, ihre Brüder und Schwestern sehen …«
Beim Winken, während sie die Flugzeugtreppe hinaufliefen, sah sie hinter allen Köpfen den ihres Vaters. Warum standen sie so an den Rand gedrückt? Ihre Armut, ihre Kleinheit traf sie wie ein Blitz und lähmte sie. Dennoch winkte sie weiter, machte mit großer Kraftanstrengung die gleichen begeisterten Bewegungen wie ihre Mitreisenden.
Danach, als die Abel Tasman über Haarlem hinwegflog und alle um sie herum die Miniaturstadt Madurodam dort unten bewunderten, blieb ihr ein lästiger Tränenschleier vor den Augen hängen. Außerdem wagte sie es nicht sich umzusehen, da das Flugzeug dann herunterfallen könnte.
»Geliebter Vater, geliebte Mutter«, schrieb sie im Hotel auf eine Briefkarte, schluchzend vor Kummer über ihre eigene Hoffart, ihre Undankbarkeit, »geliebter Vater, geliebte Mutter, bald beginnt meine lange Reise, die Stimmung ist gut, und London ist eine wunderschöne Stadt. Ich vermisse Euch schon jetzt.
Denkt an mich, Eure Tochter Ada.«
3
Bei dem Glauben, mit dem Ada groß geworden war, wusste man nie genau, ob man verdammt oder auserwählt war. Auch wenn man ein vorbildliches und gottesfürchtiges Leben führte und keinen Gottesdienst verpasste – Sicherheit bekam man erst am Tag des Jüngsten Gerichts, wenn Gott aus seinen Gläubigen die Auserwählten bestimmen würde. Ihre verwesten Körper würden mit neuen Knochen, frischem Fleisch, starken Muskeln und sauberen Organen versehen und dann von einer strahlenden, faltenlosen Haut neu eingekleidet werden. Gott würde die Glücklichen in den Himmel führen, wo sie die Ewigkeit in seinem Beisein verbringen dürften. Sie würden Psalme singen und in weißen Gewändern mit Palmwedeln winken.
Bedauerlicherweise waren manche Gläubige von Geburt an verdammt, sie erwartete das ewige Leiden. Daran konnte man nichts ändern, denn es war vorbestimmt. Da man es jedoch zu Lebzeiten nie sicher wusste, musste man sich dennoch große Mühe geben. Und Ada gab sich große Mühe. Tief in ihrem Herzen befürchtete sie das Schlimmste. Sie hatte einen angeborenen Hang zur Sünde.
Im Hochsommer legte ihre Mutter die Weißwäsche zum
Weitere Kostenlose Bücher