Brautflug
»Sie hatten hier zwei Sorten Käse«, sagt Marjorie, »
mild
und
tasty
. Und tasty war so tasty, dass danach der gesamte Mund taub war!« »Und Cheddar«, ergänzt Ada, »sie hatten auch Cheddar.« Aber den mochten die meisten Dutchies nicht. »Meine Oma ist wieder vollkommen verkäst«, sagt Hannah und schlingt ihre bloßen Arme um Marjorie, »trotzdem hätte sie nie von hier weggehen dürfen.« Ada legt ihre Hand auf Marjories gesunden Arm. »Warum seid ihr zurückgegangen?«
»Oh, Hans hatte a wonderful job opportunity.«
Marjorie vermeidet den Blickkontakt mit Esther – der Bernstein ihrer Augen ist etwas trübe geworden, doch noch immer können sie spöttisch aufblitzen – und erklärt in schrillem Ton, dass sie überaus froh sei, in Holland zu wohnen, weil hier in Neuseeland mit diesem Ozonloch das Hautkrebsrisiko so viel größer ist.
Ada hat immer Heimweh gehabt. Doch der Besuch in Holland nach fünfundzwanzig Jahren war überaus unerfreulich verlaufen. Die Besuche bei ihrer Familie empfand sie als ermüdend. Ihre Brüder waren materialistisch geworden, und Derk und sie verstanden sich überhaupt nicht. Der Weihnachtsgottesdienst in der Kirche hatte keinerlei Atmosphäre, weder eine Weihnachtsbotschaft noch ein Wort von Jesus. Der Pastor bot lediglich eine kleine Zaubervorführung dar. In dem Moment begriff Ada, dass sie sich nie mehr irgendwo zu Hause fühlen würde.
Hannah kommt auf das Flugrennen zu sprechen. Marjorie winkt mit ihrer gesunden Hand ab. »Es war langweilig«, sagt sie, »fandet ihr nicht? Eine furchtbare Reise, ich habe mich zu Tode gelangweilt. Wir
wurden
gelebt, die ganze Reise über, wir dienten allein als Frachtgut!« Sie beugt sich zu Esther hinüber, weil sie ja nun schließlich Freundinnen sind. »Weißt du, dass ich die silberne Brosche immer noch habe?« »Das hässliche Ding mit dem Anhänger?«, erwidert Esther. Dass Marjorie das Erfolgsköfferchen ebenfalls aufgehoben hat, verschweigt sie wohlweislich. Auch, dass sie alle Zeitungsartikel und die Zeitschrift mit ihrem Foto auf dem Titelblatt aufbewahrt hat.
»Wir sind in ein Unwetter geraten«, sagt Ada träumerisch. »O ja«, ruft Marjorie, »dieser Sturm! Ich dachte, ich würde sterben!« Esther sieht sie erstaunt an, sie kann sich an keinen Sturm erinnern. Die beiden anderen versuchen, ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Hinterher hat der Flugkapitän zugegeben, dass es etwas unverantwortlich gewesen sei, weiterzufliegen, erinnert Marjorie sich, genauso hatte er es ausgedrückt: etwas unverantwortlich. Ob sie sich jetzt erinnere? War das nicht über der Timorsee? »Ach das«, sagt Esther, »das war doch kein Sturm, das waren ein paar Turbulenzen.«
Nach und nach, während die Sonne unaufhaltsam tiefer sinkt, fahren die Leute um sie herum ab. Die Terrasse leert sich. Der Tisch mit den Dutchies bleibt als einziger besetzt, als könnten sie sich von diesem Moment nicht trennen. Kris, die Hände auf der Rückenlehne von Hannahs Stuhl, versichert ihnen, dass das überhaupt kein Problem sei und sie so lange sitzen bleiben könnten, wie sie wollten. Er schafft neue Flaschen Traubenblut herbei. Die Wärme des Tages liegt angenehm unter der Pergola, und das Plätschern der Fontäne klingt wie ein beruhigendes Lied. Ada, Esther und Marjorie müssen sich nicht ansehen, um zu wissen, dass sie alle drei an den Mann denken, der allein reiste und auf den niemand wartete. Wie er das Flugzeug bestieg und damit in ihr Leben trat. Das verbindet sie, genau wie sein Wein das nun tut. Sie geben sich hin und genießen seine Gastfreundschaft, die Polster auf den Stühlen sind dick und weich. Es ist, als würde er sie ihnen selbst in den Rücken schieben, sitzt du gut? Trinkst du auch genug? Dort gibt es auch Sandwichs mit Krebsfleisch, hast du die schon probiert? Die Abendbrise könnte seine Hand sein, die sanft über ihre Wangen streicht. Sein Wein entspannt die Muskeln und beruhigt ihre Nerven. Sein Wein macht zufrieden – und er versöhnt.
»Darf ich ein Foto von Ihnen machen?« Hannah zieht eine kleine Digitalkamera aus dem Rucksack. Esther murrt. »So? In diesem Licht? Warum nimmst du nicht dieses hier?« Sie zieht den Prospekt aus den Siebzigerjahren hervor, in dem ein Porträt von ihr zu sehen ist. »Nein«, sagt Hannah, »darauf sind Sie viel jünger. Ich will Sie so, wie Sie jetzt sind.«
»Dann lass mich kurz meine Lippen nachziehen.«
»So, wie Sie jetzt sind«, wiederholt das Mädchen. Esther erkennt die
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