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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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Leute von heute, »anyway, ich habe mich in den Kreisen von Theaterleuten und Ausländern bewegt, es gab eine große Kluft zwischen dem, was ich wollte, und dem, was Neuseeland verkraften konnte. Jetzt bin ich alt, oh dear, jetzt habe ich nur noch Lady Esther Bridal.« Dann schweigt sie und sieht sich selbst zwischen den leblosen Brautpuppen im Atelier herumkramen. Die meisten Kleider mache ich für Mädchen von den Samoa-Inseln, dort tragen sie gern traditionelle Brautkleider. Ich bin ein Kind der Toten geblieben, denkt sie, ich habe nie selbst angefangen zu leben, nur durch meine Entwürfe. Das ist ein bitterer Gedanke, doch sie hat sich daran gewöhnt.
    Hannah gibt ihr den Folder zurück. »Cahn Couture«, sagt sie, »sind Sie Jüdin?«
    »Ja, meine Liebe«, antwortet Esther ohne die geringste Zurückhaltung. Es ist so viel Zeit vergangen, und die Welt sieht anders aus.
    »Ich auch«, sagte das Mädchen, das ihre Enkeltochter ist.
    Pock, pock, machen die Worte in Esthers Kopf, pock, pock, wie ein Squashball in einem leeren Raum. Wahrscheinlich guckt sie das Mädchen ziemlich dumm an. »Meine Mutter ist Jüdin«, Hannah zieht etwas aus ihrem Rucksack, »bei uns zu Hause spielt Religion eigentlich keine große Rolle, nur ab und zu. Mama schimpft immer über Israel, aber wehe, wenn sich jemand anderes negativ darüber äußert! Schauen Sie …«, sie kramt ein zerknittertes Farbfoto aus ihrem Rucksack und faltet die zerknickten Ecken zurück, »hab ich nach Australien mitgenommen, um es den Leuten zu zeigen: meine Familie.«
    Unfähig dazu, etwas zu sagen, streckt Esther eine Hand aus und nimmt das Foto entgegen. Ihre Hände zittern genauso sehr wie vor ein paar Stunden, als Bob ihr Feuer angeboten hat. Sie kann es nicht verbergen und merkt, wie das Mädchen sie ansieht. Sie schiebt die Sonnenbrille über ihr straff gebundenes Haar und hält die Lesebrille, die an einer dünnen Kette um ihren Hals baumelt, vor die Augen. Noch immer kann sie nichts erkennen. Sie hält das Foto dicht vor die Nase. Neben ihr wartet Hannah geduldig und sieht sich dabei um, wo der Maori-Junge geblieben ist, Kris. Er ist nicht weit von ihr weg.
    Eine schwindelerregende Stille legt sich um Esthers Kopf, während sie von dem Foto eingesogen wird: das Zimmer, in dem der festlich gedeckte Tisch steht, um den herum die Familie sitzt. Bob, der Sohn, der Mann, der Vater, sitzt zurückgelehnt auf seinem Stuhl. Seine Jacke ist offen, sein Haar verwuschelt. Er lächelt zufrieden. Seinen Arm hat er um eine hübsche, schwarzhaarige Frau gelegt, die neben ihm sitzt. Die Frau hat ein kleines, rundes Gesicht mit slawischen Wangenknochen, sie wirkt sexy. Große, kesse Ohrringe. Das Kinn der Frau ruht auf ihren Händen, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, schaut sie verschmitzt in die Linse. Die drei Töchter hängen lässig übereinander. Obwohl sie die Gesichter vor der Kamera zu albernen Fratzen verziehen, sieht man, dass sie die Schönheit der Mutter geerbt haben. Das Essen scheint bereits fortgeschritten zu sein, es stehen leere und halbvolle Gläser da, Essensreste auf den Tellern, dazwischen achtlos abgelegte Servietten. Anscheinend sind noch mehr Menschen dort – derjenige, der das Foto macht, und andere Gäste –, die sich zur Seite lehnen, damit nur die eigentliche Familie aufs Bild kommt, auf das Foto, das auf die Reise mitgenommen werden soll. Alles auf diesem Bild funkelt und leuchtet. Vor allem die Menora mit den brennenden Kerzen, die in der Mitte des Tisches steht.
    Esther räuspert sich, schluckt ein paar Mal, doch ihre Stimme versagt, wahrscheinlich für immer. Ihr Leben stürzt auf sie nieder und verspottet sie.
    »Ja«, sagte Hannah, »das war zu Chanukka.« Und sie nimmt das Foto zurück. Dann merkt sie, dass mit Esther etwas nicht stimmt. »Was ist los?«, fragt sie besorgt, »fühlen Sie sich nicht gut?«
    Betäubt rafft Esther die Trümmer ihres eigenen Körpers zusammen. »Oh dear«, murmelt sie, und die unerträgliche Torheit des Lebens wogt vom Zwerchfell aus in ihr auf. Sie verbirgt das Gesicht in den Händen. Ihre Sonnenbrille rutscht, die Lesebrille baumelt hilflos an der Kette. Das Mädchen beobachtet sie besorgt, während sie das Foto in ihren Rucksack zurücksteckt. »Vielleicht müssen Sie etwas essen. Drüben im Restaurant bekommen wir bestimmt etwas.«
    Ja, so wird es sein.
    Es ist nicht richtig, bemerkte Hans nach seinem ersten Herzinfarkt, wir müssen es Bob erzählen. Wir hätten es nicht so machen dürfen.

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