Breathe - Gefangen unter Glas: Roman (German Edition)
gehen.«
»Ich hab keinen Ort, wo ich hingehen könnte«, sage ich.
Es ist noch keine Stunde her, dass ich Vollwaise geworden bin. Das Wort »Waise« hatte für mich immer so einen romantischen Klang. Waisenkinder waren kleine Mädchen mit Hauben und Jungs in kurzen, abgetragenen Hosen. Was hat dieses Wort auf einmal mit mir zu tun?
»Du musst raus aus der Kuppel. Auf den Straßen herrscht Ausnahmezustand, das ist deine Chance. Ich kenne einen Weg.«
»Und was ist mit Quinn?«
»Der kann für sich selbst sorgen.«
Ich rühre mich immer noch nicht vom Fleck. Stattdessen betrachte ich eingehend meine Hände. Dad hat immer gesagt, dass ich die Hände meiner Mutter hätte. Schöne schlanke Hände, die eigentlich ein Instrument hätten spielen sollen, fand er. Doch das haben sie nie – das konnten wir uns nicht leisten.
»Bea, es wird nicht mehr lange dauern, bis sie statt Sauerstoff Halothan-Gas in die Kuppel pumpen, und das wird uns alle umhauen. Das haben sie schon mal gemacht, vor Jahren. Und dann ist es zu spät zum Abhauen, da nützt dir auch keine Sauerstoffflasche mehr was – mit der fällst du dann nur auf. Du hast also nichtmehr viel Zeit.« Old Watson zieht mich hoch und schiebt mich vor sich her aus seiner Wohnung.
In den Straßen herrscht pures Chaos. Aus allen Winkeln und Ecken drängen Seconds als rasender Mob in Richtung Zone 1, überall ballen sie sich zu wütenden, tobenden Horden zusammen, viele von ihnen schwenken selbst gebastelte Waffen. Und diejenigen, die nicht mit dem Strom ziehen, stellen sich ihm in den Weg und versuchen ihn aufzuhalten. Eltern zerren ihre Kinder aus dem Gewühl und Kinder ihre Eltern.
»Hier lang.« Old Watson bahnt sich einen Weg durch die Menge und zieht mich in eine dunkle Gasse. Ich folge ihm, aber irgendwann knicken meine Knie einfach ein und ich falle hin. Gut möglich, dass sie die Sauerstoffzufuhr schon eingestellt haben und stattdessen das Gas einleiten, denn ich kann nicht mehr atmen. Und nicht nur das: Mein Herzschlag scheint sich zu verlangsamen und mein einer Arm beginnt zu zucken.
»Ich glaub, ich hab einen Herzinfarkt«, keuche ich. Sofort kniet sich Old Watson neben mich und versucht, mich aufzurichten.
»Nein, du hast keinen Herzinfarkt, du hast ein gebrochenes Herz. Das fühlt sich genauso an, ich weiß«, erklärt er, während er sich abmüht, mich hochzuhieven. »Komm schon, Bea, steh auf. Deine Eltern würden wollen, dass du lebst!«
Immer weiter redet er auf mich ein, das merke ich, aber ich kriege nicht mit, was er sagt, denn der Schmerz in meiner Brust ist so stark und stechend, dass er mich von meinen Sinnen abschneidet. Ich kann nichts hören,aber nach einer Weile kann ich zumindest wieder sehen. Ich sehe Licht am Ende der dunklen Gasse. Und ich sehe Leute an mir vorbeiflitzen. Alle rennen. Jeder einzelne Bewohner von Zone 3 rennt.
QUINN
Außer einer trüben Glühbirne, die an einem Kabel von der Decke baumelt, gibt es keine Lichtquelle. Es ist total düster. Von irgendwoher aus dem Inneren des Gebäudes höre ich Wassergluckern. Der Steinfußboden ist mit braunen Flecken übersät und aus den Wänden ragen Metallringe mit Handschellen. In der Ecke steht ein Eimer, das ist das Klo, und auf dem Boden liegt eine schmutzige Matratze. Dieser Raum dient ganz offensichtlich nur einem Zweck.
Aber zumindest haben sie mich nicht angekettet. Sie haben mich einfach nur hier reingeworfen und hinter mir verriegelt. Hier ist kein Rauskommen, völlig klar, es sei denn, ich schaffe es, mich durch die Mauern zu nagen.
Seit einer Stunde liege ich auf der stinkigen Matratze und versuche mir vorzustellen, was sie hier drinnen mit mir machen werden. Immer wieder sehe ich Cain Knavery mit seinem ewig nassen Mund vor mir, wie er mir die Fingernägel und Zähne einzeln rausreißt, mit einer alten rostigen Zange. Es wird ihm nicht reichen, micheinfach nur umzubringen. Mich überkommt das blanke Grauen, ich springe auf und laufe in der Zelle auf und ab.
Ich habe entsetzliche Angst vor dem Tod, aber zu sterben ist immer noch besser, als Bea wiederzusehen und ihr zu erzählen, dass ihre Eltern tot sind. Durch meine Schuld.
Plötzlich öffnet sich mit einem Summen die Tür und einer der Sicherheitsleute, die mich überwältigt und hier reingeworfen haben, tritt ein.
»Sieht nicht gerade so aus, als würdest du beten«, kichert er, als hätte ihn schon lange nichts mehr so amüsiert wie meine Festnahme. Die Hände in den Hosentaschen, wandert er durch die
Weitere Kostenlose Bücher